Bildung International

Bestens qualifiziert, aber (noch) nicht anerkannt

Personen mit ausländischem Lehrdiplom dürfen in der Schweiz nicht automatisch als Lehrerinnen und Lehrer unterrichten. Für sie gibt es im Kanton Bern seit dem Frühjahr einen Weiterbildungskurs, der Grundkenntnisse des hiesigen Bildungs- und Schulsystems vermittelt.

Junge Menschen in der Schule.
Eine Weiterbildung im Kanton Bern soll Lehrpersonen mit ausländischem Diplom auf das Unterrichten in der Schweiz vorbereiten. Foto: iStock/FG Trade

Der Lehrpersonenmangel in der Schweiz ist akut. Bis 2031 rechnet das Bundesamt für Statistik mit 10 000 fehlenden Lehrpersonen. In vielen Kantonen unterrichten inzwischen auch Lehrpersonen, die noch studieren, pensionierte Lehrkräfte und Quereinsteigende ohne Lehrdiplom. «An Berner Schulen kann grundsätzlich jede und jeder unterrichten und braucht nicht mal ein Diplom. Das ist ein Problem, denn so ist die Bildungsqualität nicht mehr gesichert», kommentiert Franziska Schwab, Leiterin Pädagogik beim Verband Bildung Bern, die Situation. Von den Personen, die zurzeit im Kanton Bern unterrichten, haben rund 20 Prozent keine oder keine abgeschlossene Ausbildung.

«An Berner Schulen kann jede und jeder unterrichten und braucht kein Diplom.»

Die pädagogische Hochschule Bern (PH Bern) setzt deshalb auf eine neue Strategie, um mehr ausgebildetes Lehrpersonal zu gewinnen: Sie bietet seit Frühlingssemester 2024 die neue Weiterbildung «Unterrichten mit ausländischem Lehrdiplom» in Form eines Certificate of Advanced Studies (CAS). Das Pilotprojekt hat zum Ziel, Ausländerinnen und Ausländer mit einer professionellen Lehrpersonenausbildung weiterzubilden, damit sie an den Volksschulen im Kanton Bern unterrichten können. Schwab begrüsst das Projekt: «Die ausländischen Lehrkräfte sind hoch qualifiziert und hoch motiviert. Fachlich bringen sie alles mit, was wir in unseren Schulen brauchen. Wir müssen sie unbedingt unterstützen, damit sie als Lehrkräfte arbeiten können.»

Teure Anerkennungsverfahren

Einzige Aufnahmebedingung für die Weiterbildung ist ein Lehrdiplom. Der Kurs sei eine Massnahme zur Stärkung der Kompetenzen, erklärt Studienleiterin Nathalie Glauser. «Die Teilnehmenden werden auf ihre Aufgaben als Lehrperson an einer Schweizer Schule vorbereitet.» Das Herkunftsland der Lehrpersonen spiele keine Rolle – genau so wenig wie der Aufenthaltsstatus. Einzig die Kompetenz zähle, betont Glauser.

16 Lehrpersonen aus aller Welt haben am ersten Weiterbildungskurs teilgenommen. Sie kommen unter anderem aus Polen, Nordmazedonien und Sri Lanka. Zu den Teilnehmenden gehört auch Mariia Lukatska. Die 38-jährige Ukrainerin kam wegen des Krieges in die Schweiz und arbeitete zunächst in einer Willkommensklasse für Flüchtlinge in Burgdorf. «Ich weiss, dass viele ausländische Kolleginnen und Kollegen davon träumen, in ihrem Beruf zu arbeiten», sagt die studierte Englischlehrerin. «Aber das Verfahren zur Anerkennung von Diplomen durch die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) ist langwierig und teuer. Durch das CAS habe ich die Chance bekommen, jetzt an einer Schule arbeiten zu können.» Seit August unterrichtet Lukatska deshalb an der Primarschule Gsteighof in Burgdorf im Co-Teaching Deutsch als Zweitsprache (Daz). «Als Fachleute wissen wir, worauf es in Sachen Didaktik und Pädagogik ankommt», so die Lehrerin. Aber die Erfahrung mit dem Bildungssystem der Schweiz fehle.

«Viele ausländische Kollegen träumen davon, in ihrem Beruf zu arbeiten.»

Genau dieses Hintergrundwissen soll die Weiterbildung in Bern vermitteln. «Im CAS stärken sie ihre überfachlichen Kompetenzen und lernen, wie der Hase hier läuft», erklärt Studienleiterin Glauser. Konkret geht es etwa um den Berufsauftrag, gelebte Schulkultur, Lehrmittel, Formen der Zusammenarbeit und mehr. Damit werde anerkannt, was die Teilnehmenden mit ihrem ausländischen Diplom bereits mitbringen. Glauser fasst es so zusammen: «Alle Teilnehmenden sind universitär ausgebildete Lehrpersonen mit teilweise mehr als zehn Jahren Berufserfahrung.»

Erste Erfolge

Mit dem Resultat der ersten Weiterbildung ist Glauser sehr zufrieden: «Von den 16 Personen, die den Kurs absolvieren, haben bereits 14 auf Beginn des neuen Schuljahrs und noch vor Abschluss des CAS eine Anstellung gefunden.» Jetzt arbeiten sie als Fachlehrpersonen oder Teilzeit- und Klassenlehrpersonen, als Heilpädagoginnen oder Daz-Lehrpersonen.

Zu ihnen zählt auch Hüseyin Karacan, der vor sechs Jahren in die Schweiz kam. Der 49-Jährige arbeitete 22 Jahre lang als Türkisch- und Grundschullehrer in der Türkei und promovierte anschliessend im Bereich Erziehungswissenschaften. Vor der Weiterbildung hatte er lediglich ein dreimonatiges Praktikum in einer Primarschule machen können. «Jetzt unterrichte ich seit Schuljahresbeginn als Co-Klassenlehrer die siebte, achte und neunte Klasse an einer Schule in Biel», berichtet Karacan.

«Die Sprachkenntnisse und die Anerkennungsverfahren sind eine Herausforderung.»

Er wolle in der Schweiz eine gute Lehrperson werden. «Natürlich ist das nicht einfach. Auf dem Weg dahin gibt es viele verschiedene Hindernisse, die überwunden werden müssen. Besonders die Sprachkenntnisse und die offiziellen Anerkennungsverfahren sind eine Herausforderung», so der Lehrer.

Trotz CAS: 20 Prozent weniger Lohn

Das Problem der Anerkennung ausländischer Lehrdiplome kann der CAS nicht beheben. Denn auf Anfrage bei der dafür zuständigen EDK heisst es: «Bei gleichwertiger Ausbildung werden ausländische Diplome in der Schweiz anerkannt. Ist die Ausbildung (noch) nicht gleichwertig, verfügt die EDK entsprechende Ausgleichsmassnahmen an einer pädagogischen Hochschule.» Eine Anstellung – in der Regel durch die lokale Schulbehörde – ist zwar ohne Anerkennung des Diploms durch die EDK möglich. Doch erhalten alle Lehrpersonen mit ausländischem, nicht EDK-anerkanntem Lehrdiplom 20 Prozent weniger Lohn – gleich viel wie Unausgebildete. Auch die CAS-Teilnehmenden erhalten zurzeit noch diesen Vorstufenabzug.

«Das CAS der PH Bern ist ein erster Schritt», sagt Nora Trenkel, Co-Geschäftsführerin des Vereins «Bildung für alle – jetzt!». «Aber es ist damit nicht gewährleistet, dass ausländische Lehrpersonen die EDK-Anerkennung erhalten.» Das Problem sieht auch Johannes Gruber, Fachsekretär Bildung und Migration beim Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste. Er sagt: «Seitens der EDK wäre nicht nur eine Wertschätzung und wohlwollende Prüfung des CAS wünschenswert. Es braucht eine automatisierte Anerkennung der CAS-Diplome.»

Berner Beispiel als Best Practice

Tatsächlich könnte der neue Lehrgang bei der Diplomanerkennung eine wichtige Rolle spielen. So antwortet die EDK: «Das CAS der PH Bern ist grundsätzlich geeignet, Unterschiede in den Ausbildungen teilweise zu kompensieren und Personen mit ausländischen Ausbildungsabschlüssen zu Berufserfahrung zu verhelfen, die bei der individuellen Gleichwertigkeitsüberprüfung durch das Generalsekretariat der EDK im Einzelfall berücksichtigt werden können.»

Jetzt seien die Kantone in der Verantwortung, Bern als Best-Practice-Beispiel aufzugreifen und entsprechend ihrerseits Weiterbildungsprogramme anzubieten, konstatiert Gruber. Er vermutet, dass die EDK für Angebote der Kantone offen ist. Auch Trenkel fände es wünschenswert, wenn andere Kantone ein eigenes Angebot aufbauen würden: «Fachleute anderer pädagogischer Hochschulen zeigen bereits Interesse an einem solchen CAS. Es gerät langsam etwas in Bewegung.»

Knacknuss Sprachniveau

Nach Einschätzung der Befragten sind viele Elemente des Berner CAS zielführend bei der Vorbereitung auf den hiesigen Schulalltag. Der grosse Knackpunkt sei aber das Sprachniveau, so Gruber. «Für die EDK-Anerkennung ist das C2-Niveau zwingend, aber das ist zu hoch angesetzt. Hier ist ein pragmatischerer Umgang gefragt.» Mit einer provisorischen Anerkennung des C1-Levels könnten Lehrpersonen in der Arbeitspraxis weiter an der Sprache arbeiten. So könnte man eine Ungleichbehandlung etwa bei der Bezahlung vermeiden, schlägt Gruber vor.

«Beim Sprachniveau ist ein pragmatischerer Umgang gefragt.»

Glauser erachtet die Sprachkompetenz ebenfalls als entscheidend. Die deutsche Sprache muss so gut beherrscht werden, dass die Inhalte verstanden werden und eine spontane, fliessende Unterhaltung im Unterricht möglich ist. Für eine Teilnahme am CAS ist aktuell das Niveau B2 erforderlich. Nicht wenige Teilnehmende haben allerdings schon Niveau C1 oder C2, sagt die Studienleiterin. Trotzdem bleibt die sprachliche Förderung zentral. Daher erarbeitet die PH Bern derzeit ein ergänzendes Sprachprojekt. «Ab August 2025 werden wir Sprachkurse für C1- und C2-Niveau anbieten, mit dem Fokus auf Sprache im Beruf. Das soll die Lernbegleitung der Kinder im Unterricht ohne Abstriche gewährleisten», so Glauser.

Derweil nimmt die Nachfrage nach dem CAS «Unterrichten mit ausländischem Diplom» weiter zu. Über 400 Interessierte aus der ganzen Schweiz hätten sich inzwischen gemeldet, sagt die Studienleiterin. Die kantonale Finanzierung der nächsten Durchführung sei bereits gesichert, denn: «Wir können die Besten auswählen und den Standard hochhalten», sagt Glauser. Die PH Bern könne damit dem Lehrpersonenmangel etwas entgegensetzen.

Autor
Brigitte Selden

Datum

21.11.2024

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