Allen Herausforderungen zum Trotz haben Sie viel erreicht. Nicht zuletzt die Wahl in den Nationalrat. Nun wollen Sie das System revolutionieren. Inwiefern?
Ich will das Behindertenwesen radikal umgestalten: Weg von der «Behindertenindustrie», die Menschen in Werkstätten parkiert, hin zur Inklusion im ersten Arbeitsmarkt. Zudem muss die Invalidenversicherung (IV) wieder zur helfenden Hand werden. Sie soll Selbstbestimmung statt Abhängigkeit fördern. Dafür braucht es zum Beispiel einen Ausbau der Assistenzleistungen.
Wie können Lehrerinnen und Lehrer im Klassenzimmer zu einer inklusiveren Gesellschaft beitragen?
Lehrpersonen tragen jetzt schon viel dazu bei, die Bilder in den Köpfen zu verändern, und leisten damit einen enorm wichtigen Beitrag, um Vorurteile abzubauen. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wie Lehrpersonen unterstützt werden müssen, damit inklusiver Unterricht zum Wohle aller gelingt – ohne die Lehrerinnen und Lehrer damit zu überlasten. Zum Beispiel können wir Ressourcen in inklusive statt separierende Strukturen lenken.
Aber das Problem ist weder die Inklusion, noch sind es die Kinder mit Behinderungen. Das Problem ist die Verteilung der Ressourcen.
Die Politik stellt viele Ansprüche an die Schule. Dazu kommt der Lehrermangel. Können Sie nachvollziehen, dass die Inklusion die Lehrpersonen auch überfordern kann?
Natürlich. Ich will betonen: Es geht mir nicht darum, den Lehrpersonen diese Überforderung abzusprechen. Das hat die Politik lange genug gemacht, gepaart mit ständigem Wegschauen. Aber das Problem ist weder die Inklusion, noch sind es die Kinder mit Behinderungen. Das Problem ist die Verteilung der Ressourcen. Die öffentliche Hand gibt Milliarden für Separation aus, zum Beispiel für Sonderschulen und IV, spart aber bei der Inklusion. Das ist kurzsichtig. Langfristig kostet Ausgrenzung mehr – sowohl finanziell als auch menschlich.
Selbst 20 Jahre nach Annahme des Behindertengleichstellungsgesetzes sind viele Bahnhöfe und Züge immer noch nicht barrierefrei. Erklärt wird das mit den hohen Kosten. Wie viel Integration kann sich unser Bildungssystem leisten?
Die Frage sollte eher sein, welche Kosten Separation verursacht. Kinder, die in Sonderschulen landen, finden als junge Erwachsene im ersten Arbeitsmarkt keinen Anschluss. Sie landen im zweiten Arbeitsmarkt — ohne Möglichkeit auf finanzielle Unabhängigkeit. Und so bleiben sie ein Leben lang abhängig vom Staat. Barrierefreiheit ist kein «nice to have», sondern ein Menschenrecht.
Wo liegen die Grenzen der Integration?
Die Grenzen liegen im politischen Willen, nicht im Geld. Länder wie die USA zeigen: Gesetze gegen Diskriminierung und klagbare Rechte schaffen Verbindlichkeit. Die Schweiz hat die Uno-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Jetzt muss sie handeln, nicht debattieren.
Nur gemeinsam können wir es schaffen, in der Schweiz eine inklusive Gesellschaft zu erreichen.
Selbst wenn Integration zunehmend besser wird – die Umsetzung braucht Zeit. Was raten Sie derweil Menschen, die mit einer Behinderung leben?
Bleibt dran. Nutzt jede technische und menschliche Unterstützung – sei es künstliche Intelligenz oder Assistenzen. Mein Weg war kein Zufall: Ich habe gelernt, meine Schwäche zur Stärke zu machen. Und vernetzt euch. Nur gemeinsam können wir es schaffen, in der Schweiz eine inklusive Gesellschaft zu erreichen.