Heilpädagogik

«Alle sollen ihr Potenzial entfalten können»

Heilpädagogik ist vielseitiger denn je. Barbara Fäh, Rektorin der Interkantonalen Schule für Heilpädagogik (HfH) erzählt, was das für Aus- und Weiterbildung der Fachpersonen bedeutet – und warum es den Austausch in interdisziplinären Teams braucht.

Direktorin der Schule für Heilpädagogik.
Barbara Fäh. Foto: zVg

BILDUNG SCHWEIZ: Die HfH feiert dieses Jahr ihr 100-Jahr-Jubiläum. Wie haben sich die Schwerpunkte innerhalb der Heilpädagogik in den letzten 100 Jahren verändert?

BARBARA FÄH: Anfangs stand die Frage nach der Bildungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen im Zentrum. Ab den Siebzigern wurde die Sichtweise ausgedehnt: Nicht nur das Individuum stand im Zentrum, sondern auch dessen Umfeld wurde in die Überlegungen zu Bildung und Lernen miteinbezogen. In diesem Zusammenhang wurden Fragen der Integration von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen in die Regelschule bis zur Jahrtausendwende verstärkt bearbeitet. Heutzutage beschäftigt uns vor allem die Frage: Wie muss das Bildungssystem ausgestaltet sein, damit alle willkommen sind und ihr Potenzial entwickeln können?

Welche Aufgaben dürften Heilpädagoginnen und Heilpädagogen in Zukunft beschäftigen?

Die Kinder und Jugendlichen sind so divers wie die Gesellschaft. Die Schulen haben die Aufgabe, alle zu empfangen – unabhängig davon, ob sie besonders begabt, beeinträchtigt oder benachteiligt sind. Ziel ist die verantwortliche Teilhabe an der Gesellschaft und der höchstmögliche Grad an Autonomie. Heilpädagogische Fachpersonen unterstützen Kinder und Jugendliche, ihr Umfeld, Lehrpersonen und Schulleitungen in der Gestaltung und Umsetzung dieser Bestrebungen.

«Inklusion ist nicht ein Ziel in ferner Zukunft.»

Die Expertise der heilpädagogischen Fachpersonen ist gefragt, um das Ziel der Partizipation an und in der Gesellschaft sicherzustellen. Dies kann aber nur in Zusammenarbeit mit anderen Fachpersonen geschehen. Eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Verständnis für unterschiedliche Ausgangslagen und Fragestellungen sowie ein aufeinander abgestimmtes Vorgehen, das die unterschiedlichen Fachkenntnisse einbezieht, sichert das Lernen aller Kinder und Jugendlichen. Inklusion ist damit nicht ein Ziel in ferner Zukunft, sondern die Ausgangslage einer diversen Gesellschaft, in der jede und jeder sein Potenzial entwickeln soll und muss. Heilpädagogische Fachpersonen werden sich zukünftig vermehrt einbringen in multiprofessionellen Teams und in ein Schulsystem, welches trag- und leistungsfähig sein soll.

An vielen Schulen mangelt es an heilpädagogischem Fachpersonal. Wie begegnet die HfH diesem Problem?

Die HfH hat das Problem bereits vor mehreren Jahren erkannt und dazu gezielt Massnahmen eingeleitet. So wurde etwa die bisherige Beschränkung der Studierendenzahlen aufgehoben. Die Masterstudiengänge Schulische Heilpädagogik und Heilpädagogische Früherziehung sind zudem modularisiert, damit sie flexibel absolviert werden können. Es gibt ausserdem ein vielfältiges Weiterbildungsangebot, darunter Tagungen, Kurzkurse oder Webinare. Schulen, Teams und Einzelpersonen werden gezielt unterstützt, wenn der Mangel an heilpädagogischem Know-how zu herausfordernden Situationen führt. Das Ziel der HfH ist es, die Praxis sowohl kurzfristig mit dem nötigen Fachwissen zu versorgen als auch das Know-how im Feld mittel- und langfristig zu erhöhen. Nur so können wir gewährleisten, dass alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Chancen haben – für eine Gesellschaft, die auch morgen leistungsfähig, innovativ und solidarisch sein soll.

 

Autor
(red)

Datum

19.03.2024

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