Edtech und Schule

Zwei Welten müssen sich finden

Schulen investieren immer mehr Geld in Bildungstechnologie. Diese entsteht zunehmend in Zusammenarbeit von Tech- und Bildungsfachleuten. Die Herausforderung besteht jeweils darin, eine gemeinsame Sprache zu finden.

Ein Stift berührt die digitale Arbeitsfläche eines Tablets.
Brauchbare Bildungstechnologie entsteht nur, wo Fachleute aus Technik und Pädagogik sich gegenseitig austauschen und dafür eine gemeinsame Sprache finden. Foto: iStock/Kenstocker

Zwischen der Schweiz und dem Silicon Valley liegen über 9000 Kilometer Luftlinie. Doch der Geist der Bay Area inspiriert auch hier technische Innovationen und Unternehmertum. Das prägt zunehmend die Schweizer Schullandschaft. Start-ups wie Alphacruncher, Evulpo oder Taskbase haben Bildung als Markt entdeckt. Sie entwickeln gezielt Produkte, sogenannte Bildungstechnologien, auf Englisch Edtech. Für Schulen stellt sich die Frage, welche Produkte sie tatsächlich brauchen, was sie kosten und wie man Edtech sinnvoll in den Schulalltag integriert.

Millionenbeträge für Bildungstechnologie

Unter dem Sammelbegriff Edtech entstehen in der Schweiz derzeit Lernplattformen, KI-Lerncoaches, Anwendungen für digitale Zeugnisse oder sogenannte Proctoring-Tools für die Durchführung von Onlineprüfungen. Ein Blick in Medienberichte über Investitionszahlen für hiesige Start-ups zeigt, um wie viel Geld es dabei geht. So sicherte sich das Start-up Taskbase, als Ableger der ETH Zürich 2015 gegründet, letztes Jahr erneut Investorengelder in der Höhe von 3,5 Millionen Franken. Evulpo, gegründet 2020, gar 8,8 Millionen Franken.

Schulen, Gemeinden und Kantone zahlen viel Geld für diverse IT-Projekte, die zeitgemässe Bildung ermöglichen sollen. Der Kanton St. Gallen lancierte 2019 eine IT-Bildungsoffensive für insgesamt 75 Millionen Franken, die in mehrere Projekte fliessen.

Die Stadt Bern hat 2018 21 Millionen Franken in ihre Schulinformatikplattform «base4kids» investiert. Das Projekt geriet zu Beginn wegen technischer und organisatorischer Schwierigkeiten stark in die Kritik. Eine Untersuchung bemängelte schliesslich die Projektorganisation. Das Projekt musste neu aufgegleist werden. 2025 genehmigte die Stimmbevölkerung weitere 22 Millionen für die Weiterentwicklung der Schulinformatik.

Viel Geld, aber kein Hype wegen künstlicher Intelligenz

Auf den ersten Blick werden also beträchtliche Summen in Edtech und die dazugehörige Infrastruktur investiert. Doch von Goldgräberstimmung in der Schweizer Bildungstechnologie könne keine Rede sein, sagt Wirtschaftsjournalist Stefan Kyora, Chefredaktor der Onlineplattform «startupticker.ch». Die Schweiz habe eine lebendige Start-up-Szene, der grösste Anteil davon spezialisiere sich aber auf Produkte für den Finanzbereich. Der Rest verteile sich auf Nischen, sagt Kyora. «Der Edtech-Markt ist deutlich kleiner.»

Selbst mit den rasanten Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) ist in Europa kein Investitionshype entstanden. Start-ups versuchen hier weniger als in den USA, mit zukunftsweisenden Visionen Risikokapital zu generieren. Produkte müssen mit ihrem Nutzen überzeugen. «In den USA weckte KI die Angst, etwas zu verpassen», sagt Kyora. In der Schweiz reiche das nicht, um Investitionen zu sichern. «Hiesige Edtech-Start-ups können Investoren nur mit echten Produkten überzeugen, die der Markt wirklich braucht.»

«Schule ist für Edtech nur ein vermeintlich einfacher Markt.»

Edtech hat in der Schweiz nur wenig mit dem Glamour vom Silicon Valley gemein. Das sieht man auch bei der Fachagentur Educa so. «Schule ist für Tech-Start-ups nur vermeintlich ein einfacher Markt», sagt Lukas Wüthrich, der dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist. Die eigene Schulerfahrung reiche nicht, um die Bedürfnisse von Bildungsinstitutionen zu verstehen. Für Edtech brauche es neben technischen auch pädagogische und didaktische Qualifikationen. Beim Einsatz von Bildungstechnologie nimmt Wüthrich sogar zunehmend eine Zurückhaltung wahr. Im Bereich Bildung herrsche kein Kaufrausch. «Unterdessen geht man kritischer mit dem Thema Edtech um», sagt er. Schulen würden die Produkte stärker hinterfragen und sich genauer überlegen, worin der pädagogische Mehrwert liege. Zudem sei das Bewusstsein für einen sorgfältigen Umgang mit Daten von Schülerinnen und Schülern gewachsen.

Schön allein reicht nicht

Schulen können sich der Technologisierung nicht entziehen. Sie haben in den letzten Jahren ihre Infrastruktur ausgebaut. Damit solche Projekte erfolgreich sind, braucht es ein gutes Zusammenspiel von Technologie und Pädagogik, weiss Patrick Binder, IT-Projektleiter für die App Lernnavi beim Bildungsdepartement des Kantons St. Gallen. «Tech-Start-ups können schöne Apps entwickeln. Im Schulalltag funktionieren sie aber nicht unbedingt.»

Das Lernnavi, ein Lernsystem für Schüler und Schülerinnen der Sekundarstufe II, wird als Teilprojekt der IT-Bildungsoffensive weiterentwickelt. Es soll Lernenden helfen, sich für die Fächer Deutsch und Mathematik jene Kompetenzen anzueignen, die für ein Studium benötigt werden. Entwickelt wurde es von Taskbase.

Binder ist zufrieden mit der Zusammenarbeit, denn das Start-up habe bereits Erfahrung im Bildungswesen. Das vereinfache das Vereinen von technischen mit pädagogischen Ansprüchen. Ohne die Vermittlung Binders zwischen IT-Fachleuten und Lehrpersonen geht es aber nicht. «Bildungstechnologie braucht dieses Zusammenspiel von Technik und Pädagogik.»

Herausfordernde Ansprüche

Damit ein Projekt gelingt, müssen abgesehen von Ingenieurinnen, Ingenieuren und Lehrpersonen verschiedenste Akteure und Zielgruppen berücksichtigt werden. «Ein Tool muss verschiedene Welten abbilden», sagt Binder. Projekte für öffentlich-rechtliche Institutionen müssen neben technischen und pädagogischen weiteren Ansprüchen genügen, etwa finanziellen oder datenschützerischen. Kurz: «Es ist schwierig, alles unter einen Hut zu bringen», sagt Binder.

Die Fachagentur Educa kennt die verschiedenen Bedürfnisse und die daraus entstehenden Komplikationen. Eine Seite lebt vom Wachstum und schnellem oder zumindest mittelfristigen Profit. Die andere hat einen Leistungs- respektive einen Bildungsauftrag. «In der Bildungstechnologie prallen Welten aufeinander», stellt Wüthrich fest. Das müsse den Involvierten von Anfang an bewusst sein.

«Bildungsfachleute sprechen nicht immer die gleiche Sprache wie Tech-Start-ups»

Damit Bildung und Technologie einen gemeinsamen Weg finden, müssten Möglichkeiten und Bedürfnisse sorgfältig kommuniziert werden. Wichtig sei dies besonders, damit man die wichtigsten Aspekte wie Datenschutz, Datensouveränität oder Systemarchitektur von Anfang an richtig klären könne. Die Herausforderung dabei: «Bildungsfachleute sprechen nicht immer die gleiche Sprache wie Tech-Start-ups», sagt er.

Edtech ist noch nicht am Ziel

In den letzten Jahren sammelten alle Involvierten wichtige Erfahrungen. «Die Bedürfnisse werden klarer. Wir sind aber noch nicht am Ziel», fasst Wüthrich zusammen. Jenen, die solche Projekte aufgleisen, empfiehlt er klare Rahmenbedingungen, die sich beispielsweise an den verfügbaren Gesetzgebungen zum Datenschutz oder Beschaffungsrecht orientieren.

Stimmen die Rahmenbedingungen, bilden sie ein solides Fundament für eine längere Zusammenarbeit. Denn Applikationen für den Schulgebrauch werden oft über Jahre weiterentwickelt und ausgebaut. Nur so lohnt sich die Investition von Zeit und Geld – für beide Seiten. Denn Start-ups sind auf langjährige Zusammenarbeit angewiesen. «Pilotprojekte bringen zwar viel Arbeit, aber verhältnismässig wenig Geld», erläutert Wirtschaftsjournalist Kyora.

«Ein gutes Tool muss auch richtig eingesetzt werden.»

Umgekehrt zeigt sich erst im Schulalltag, wo Anwendungen noch optimiert oder weiterentwickelt werden können. Letztlich geht es bei Edtech darum, Menschen beim Lernen zu unterstützen. Für Schulen lohnt sich der Einsatz demnach nur, wenn er dem Lernen dient. Das hänge nicht allein von der Qualität des Produkts ab, betont Wüthrich: «Ein gutes Tool muss auch richtig eingesetzt werden.»

Was das heisst, zeigt sich bei der Weiterentwicklung des Lernnavis im Kanton St. Gallen. Laut Binder werden dabei Lehrpersonen, die das Tool im Schulalltag einsetzen, eingebunden. Man wolle auch auf deren Anliegen eingehen. Bei komplexen Anwendungen sei ausserdem die Einführung für Lehrerinnen und Lehrer besonders wichtig. «Sie müssen den Mehrwert einer Technologie erkennen. Sonst setzen sie diese gar nicht ein.»

Autor
Patricia Dickson

Datum

10.11.2025

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