Filmprojekt für Primarschulkinder

Schülerinnen und Schüler drehen mit Profis Filme

Schulkinder der Primarschule Speicher im Kanton St. Gallen produzieren zusammen mit professionellen Filmschaffenden Kurzfilme. Die besten schaffen es sogar auf die Leinwand der regionalen Kinos.

Drei Kinder sind draussen und schauen auf ein Tablet.
Konzentriert filmen Schulkinder eine Szene mit dem iPad, die sie vorher in ihrem Drehbuch festgehalten haben. Foto: Claudia Baumberger

Es ist ein Donnerstagmorgen im appenzellischen Speicher. Am Bahnhof und rund um die Schule sind Kinder in Kleingruppen am Filmen. Es geht um wilde Verfolgungsjagden, vermeintliche Diebe, Mobbing, Freundschaften und Gamesucht. «Es ist wie Theaterspielen, aber man kann sich danach auch noch selber anschauen, wie man wirkt», sagt ein Mädchen, das mit seiner Gruppe eine Szene aus einem Wochenendausflug spielt.

«Filmen ist super und besser als Schule.»

Eine andere Gruppe dreht am Abgrund eines Tobels, wie sich Kinder im Wald verirren und später wieder zurückfinden. Sie sind sich einig: «Filmen ist super und besser als Schule.» Denn sie können selber entscheiden, wo sie filmen und müssen nicht im Schulzimmer sitzen. Gefilmt wird übrigens mit dem iPad, und als Stativ dienen zusammenklappbare Notenständer: Es wird das Material eingesetzt, das es vor Ort gibt.

Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden

Die Schüler und Schülerinnen der drei 5. und zwei 6. Klassen der Primarschule Speicher arbeiten bereits den vierten Tag an ihren Kurzfilmen. Ihre Lehrpersonen und die beiden Kulturschaffenden Livia Vonaesch und Mike Krishnatreya unterstützen sie dabei. Im Januar besuchten die Lehrpersonen einen Grundlagenkurs zur Filmproduktion. Dort kamen sie auch zum ersten Mal in Kontakt mit den Kulturschaffenden, die ihnen von der Projektleitung zugeteilt wurden und ihre Klassen je zwei mal fünf Lektionen lang begleiten.

Die Ostschweizerin Vonaesch ist Regisseurin und Autorin von Dokumentar-, Experimental- und Auftragsfilmen. Der Zürcher Kameramann Krishnatreya hat eine eigene Filmproduktionsfirma. Beide leiten oft zusammen Filmkurse an Gymnasien, Berufs- und Gestaltungsschulen. «Kinder sind sehr authentisch», findet Krishnatreya, der vor seiner Filmkarriere eine Lehrerausbildung gemacht hat. Der Einsatz in der Primarschule entspricht ihm daher sehr. Ähnlich geht es Vonaesch, die ihre Leidenschaft für das Filmen mit den Kindern teilen möchte.

«Kunst und ästhetische Bildung können diese Kompetenzen fördern.»

Ins Filmprojekt eingestiegen sind die Schülerinnen und Schüler, indem sie ihre Geschichten aufgeschrieben und nach Anleitung der Filmprofis ein Drehbuch erstellt haben. Auf einem Formular hielten sie fest, was in der Szene passiert, mit welcher Perspektive sie drehen wollen und was der Sprechtext ist. Danach folgte das Filmen der einzelnen Szenen an rund eineinhalb Tagen. An diesem vierten Projekttag sind die Schüler und Schülerinnen teilweise noch am Filmen, während andere bereits schon mit Schneiden beschäftigt sind.

Filmen lehrt neue Fähigkeiten

Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr auch die Anforderungen an die Schule. Künftig werden mehr soziale und technische Fähigkeiten sowie Kreativität und kritisches Denken nötig sein, um Lösungen für komplexe Probleme zu finden.

«Kunst und ästhetische Bildung können diese Kompetenzen fördern», ist Björn Reifler überzeugt. Er ist Co-Leiter der Fachstelle Theater des Instituts Kulturelle und Ästhetische Bildung der Pädagogischen Hochschule St. Gallen (PHSG). Diese hat das Filmprojekt auf Anregung des Amts für Kultur des Kantons St. Gallen entwickelt und initiiert.

Heute konsumieren viele Kinder und Jugendliche bewegte Bilder; welche Arbeit dahintersteckt, wissen sie jedoch kaum.

Heute konsumieren viele Kinder und Jugendliche bewegte Bilder; welche Arbeit dahintersteckt, wissen sie jedoch kaum. «Wenn sie lernen, wie Filme entstehen, und dass die Szenen das Ergebnis einer Selektion mit einer möglichen Perspektive sind, so wird ihr kritisches Denken gefördert», erklärt Livia Vonaesch.

Deborah Frischknecht, Lehrerin einer fünften Klasse in Speicher, erzählt, dass die Kinder beim Filmen durch die Zusammenarbeit sozial sehr gefordert seien und der Perspektivenwechsel für viele schwierig sei. Einige blühten beim Schauspielen dafür richtig auf, und diejenigen, die gerne mit den neuen Medien arbeiten, kämen voll auf ihre Kosten.

Die Zahl 5 spielt eine besondere Rolle

Das Filmprojekt der PHSG heisst «Film f/vor5». Die Zahl 5 spielt nämlich eine besondere Rolle. «Der Kurzfilm soll nicht länger als fünf Minuten dauern, und die Produktion während des Schulunterrichts darf nicht mehr als fünf Tage in Anspruch nehmen», erklärt Reifler. Und so geht es auch bei den restlichen Anforderungen mit der Zahl 5 weiter: Die Gruppen bestehen aus höchstens fünf Kindern und Jugendlichen. Als Inspiration für das umzusetzende Thema dienen fünf Schlagwörter bezüglich Raum, Zeit, Material, Emotion und Dimension.

Die Themen lauteten dieses Jahr: «Bahnhof», «5 Uhr 15», «Plastik», «Freude» und «klein». Weiter sind am Projekt mindestens fünf Kulturschaffende aus dem Bereich Film beteiligt. Die Filme werden von einer Jury in fünf Kategorien prämiert und die ausgezeichneten Werke in den fünf regionalen Kinos präsentiert. «Die Wettbewerbsform soll für die Kinder und Jugendlichen eine zusätzliche Motivation sein», sagt Reifler. Zur Vorführung der Filme sind die Schülerinnen und Schüler eingeladen und lernen als Nebeneffekt die Kinos vor Ort kennen. Bei der Präsentation der prämierten Filme erklärt ihnen die Jury, weshalb gerade diese Werke gewonnen haben. 2024 haben insgesamt zwölf Klassen mitgemacht, entstanden sind über 40 Kurzfilme.

Die Kinder sind voll dabei

Inzwischen ist es Donnerstagnachmittag. Vonaesch und Krishnatreya versammeln die Schülerinnen und Schüler und erklären ihnen, wie man Filme mit iMovie schneidet. Technisch ist das Programm sehr einfach und intuitiv zu bedienen. Wie man Szenen filmt, sodass sie optimal geschnitten werden können, erklärten die beiden Filmprofis den Kindern bereits vor dem Drehen. Nun steht aber die kreative Arbeit im Vordergrund: «Es gibt kein Richtig und kein Falsch beim Filmschnitt», betont Livia Vonaesch und ermuntert die Kinder: «Schaut, welche Einstellung passt und welcher Blickwinkel der beste ist.»

Nach dem Input der Filmschaffenden machen sich die Kinder wieder an die Arbeit. Ihre Lehrerin freut sich zu sehen, wie begeistert die Schülerinnen und Schüler am Werk sind. Dass die Filme im Kino gezeigt würden, sei sehr motivierend für sie: «Während des Filmprojekts haben die Schüler und Schülerinnen sogar oft die Pause vergessen und durchgehend gearbeitet.»

Schulklassen drehen eigene Kurzfilme

Das Projekt «Film f/vor 5» der Pädagogischen Hochschule St. Gallen (PHSG) richtet sich an die 4. bis 7. Schulklassen in den Kantonen St. Gallen, Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden. Kosten pro Klasse: 400 Franken (und zusätzlich Fahrkarten für die Klasse zu den regionalen Kinos). Interessierte können sich jetzt schon für die Durchführung 2025 anmelden. Mehr Informationen: filmvor5.ch

Autor
Claudia Baumberger

Datum

27.06.2024

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