Es ist ein Donnerstagmorgen im appenzellischen Speicher. Am Bahnhof und rund um die Schule sind Kinder in Kleingruppen am Filmen. Es geht um wilde Verfolgungsjagden, vermeintliche Diebe, Mobbing, Freundschaften und Gamesucht. «Es ist wie Theaterspielen, aber man kann sich danach auch noch selber anschauen, wie man wirkt», sagt ein Mädchen, das mit seiner Gruppe eine Szene aus einem Wochenendausflug spielt.
«Filmen ist super und besser als Schule.»
Eine andere Gruppe dreht am Abgrund eines Tobels, wie sich Kinder im Wald verirren und später wieder zurückfinden. Sie sind sich einig: «Filmen ist super und besser als Schule.» Denn sie können selber entscheiden, wo sie filmen und müssen nicht im Schulzimmer sitzen. Gefilmt wird übrigens mit dem iPad, und als Stativ dienen zusammenklappbare Notenständer: Es wird das Material eingesetzt, das es vor Ort gibt.
Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden
Die Schüler und Schülerinnen der drei 5. und zwei 6. Klassen der Primarschule Speicher arbeiten bereits den vierten Tag an ihren Kurzfilmen. Ihre Lehrpersonen und die beiden Kulturschaffenden Livia Vonaesch und Mike Krishnatreya unterstützen sie dabei. Im Januar besuchten die Lehrpersonen einen Grundlagenkurs zur Filmproduktion. Dort kamen sie auch zum ersten Mal in Kontakt mit den Kulturschaffenden, die ihnen von der Projektleitung zugeteilt wurden und ihre Klassen je zwei mal fünf Lektionen lang begleiten.
Die Ostschweizerin Vonaesch ist Regisseurin und Autorin von Dokumentar-, Experimental- und Auftragsfilmen. Der Zürcher Kameramann Krishnatreya hat eine eigene Filmproduktionsfirma. Beide leiten oft zusammen Filmkurse an Gymnasien, Berufs- und Gestaltungsschulen. «Kinder sind sehr authentisch», findet Krishnatreya, der vor seiner Filmkarriere eine Lehrerausbildung gemacht hat. Der Einsatz in der Primarschule entspricht ihm daher sehr. Ähnlich geht es Vonaesch, die ihre Leidenschaft für das Filmen mit den Kindern teilen möchte.
«Kunst und ästhetische Bildung können diese Kompetenzen fördern.»
Ins Filmprojekt eingestiegen sind die Schülerinnen und Schüler, indem sie ihre Geschichten aufgeschrieben und nach Anleitung der Filmprofis ein Drehbuch erstellt haben. Auf einem Formular hielten sie fest, was in der Szene passiert, mit welcher Perspektive sie drehen wollen und was der Sprechtext ist. Danach folgte das Filmen der einzelnen Szenen an rund eineinhalb Tagen. An diesem vierten Projekttag sind die Schüler und Schülerinnen teilweise noch am Filmen, während andere bereits schon mit Schneiden beschäftigt sind.
Filmen lehrt neue Fähigkeiten
Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr auch die Anforderungen an die Schule. Künftig werden mehr soziale und technische Fähigkeiten sowie Kreativität und kritisches Denken nötig sein, um Lösungen für komplexe Probleme zu finden.
«Kunst und ästhetische Bildung können diese Kompetenzen fördern», ist Björn Reifler überzeugt. Er ist Co-Leiter der Fachstelle Theater des Instituts Kulturelle und Ästhetische Bildung der Pädagogischen Hochschule St. Gallen (PHSG). Diese hat das Filmprojekt auf Anregung des Amts für Kultur des Kantons St. Gallen entwickelt und initiiert.
Heute konsumieren viele Kinder und Jugendliche bewegte Bilder; welche Arbeit dahintersteckt, wissen sie jedoch kaum.