Hörgeschädigte Kinder

Wenn Flüstern sozial ausgrenzt

Hervé Martin ist Vater eines zehnjährigen Sohnes mit einer Hörbehinderung und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Vereinigung der Eltern hörgeschädigter Kinder. Im Gespräch mit BILDUNG SCHWEIZ erklärt er, worauf es in der Schule zu achten gilt.

Kind mit einem Hörgerät.
Jedes Kind ist einzigartig, auch in seinen Beeinträchtigungen und Bedürfnissen. Foto: iStock/Kemal Yildirim

BILDUNG SCHWEIZ: Was sind die häufigsten Anliegen von Eltern hörbeeinträchtigter Kinder?

HERVÉ MARTIN: Im Allgemeinen besteht die grösste Sorge der Eltern darin, ob das Kind sich gut in die Schule integrieren kann, auch im sozialen Bereich. Sie wünschen sich, dass ihr Kind alle Chancen erhält, um die Schule entsprechend seinen Fähigkeiten und Interessen absolvieren zu können. Bei einer Hörbehinderung ist die Kommunikation zwischen Eltern, Kind und Schule besonders wichtig, aber auch schwierig. Denn jedes Kind ist einzigartig – auch in seinen Beeinträchtigungen und Bedürfnissen.

Wo liegen die grössten Herausforderungen für diese Kinder, wenn sie eine reguläre Schule besuchen?

Das Hörverständnis ist natürlich das erste Thema, das einem in den Sinn kommt. Je nach Grad der Hörbehinderung und trotz technischer Hilfsmittel haben die betroffenen Kinder in unterschiedlichem Masse Probleme, im Unterricht mündlichen Anweisungen zu folgen. Für die Lehrperson ist das nicht immer offensichtlich. Schülerinnen und Schüler mit einer Hörbehinderung können ausserdem auch negativ auf die Anwesenheit von Externen reagieren. Zum Beispiel, wenn Fachleute für Audiopädagogik zu ihrer Förderung in die Schule kommen.

Diese Unterstützung lenkt die Aufmerksamkeit auf sie und lässt sie anders als den Rest der Klasse erscheinen. Schliesslich können bestimmte Elemente der Schulkultur für ein Kind mit Hörbehinderung nachteilig sein. Ein Beispiel ist die Flüsterkultur: Die Kinder sollen miteinander kommunizieren, ohne die anderen zu stören. Das ist zwar eine gute Idee. Ein Kind mit Hörbehinderung kann das Flüstern aber nicht verstehen und wird automatisch ausgeschlossen. Auch der Platzwechsel in der Klasse kann problematisch sein. Das Kind mit Hörbehinderung sitzt plötzlich in der hintersten Reihe oder im Gegenlicht und kann nicht mehr von den Lippen der anderen ablesen.

Wie können Lehrpersonen hörbeeinträchtigte Schülerinnen und Schüler besser unterstützen?

Lehrpersonen sollten wissen und verstehen, welche Behinderung das Kind hat und zu welchen Folgen diese führt. Was kann das Kind, und vor allem, was kann es nicht? Nur so können sie geeignete Unterrichtsmethoden anwenden. Ausserdem sollten sie aufmerksam sein. Kinder mit Hörbehinderungen greifen bei Verständnisschwierigkeiten auf verschiedene Methoden zurück – zum Beispiel auf Abschreiben oder Nachahmen anderer Kinder.

Kinder mit Hörbehinderungen wollen sich nicht anders fühlen als die anderen.

Sie wollen sich nicht anders fühlen als die anderen. Darum zögern sie oft, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstehen. Lehrpersonen sollten also nicht einfach davon ausgehen, dass das Kind nur zerstreut oder abgelenkt ist. Weiter ist ein regelmässiger und offener Dialog der Lehrpersonen mit den Eltern unerlässlich. Das gilt insbesondere auch, wenn Vertretungen unterrichten. Die Eltern sind nämlich «Fachleute» für die Hörbehinderung ihres Kindes. Der Austausch zwischen Klassenlehrpersonen und externen Fachpersonen wie Audiopädagoginnen oder Audiopädagogen ist ebenfalls wertvoll. Sie kennen die Probleme der Hörbehinderung und haben Erfahrung mit der schulischen Integration.

Autor
red

Datum

07.10.2024