Sie stehen im In- und Ausland viel selbst als Solistin auf der Bühne. Was reizt Sie am Unterrichten?
Der Unterricht bereitet mir viel Freude. Ich sehe, wie die Kinder musikalisch und menschlich wachsen. Das ist wunderbar.
Unterricht kann aber anstrengend sein.
Ja. Denn manchmal macht man sich als Lehrperson viel Mühe und von den Lernenden kommt nur wenig zurück. Seit ich die Unterrichtsmethode und damit meine Einstellung geändert habe, ist mein Frust diesbezüglich verschwunden. Ich fühle mich kompetenter, sicherer und selbstwirksamer. Ich kann wirklich etwas bewirken. Die Kinder finden mit Suzuki einen natürlichen Zugang zur Musik. Sie müssen nicht mühsam Töne und Rhythmus erlernen. Wir können einfach aus ganzem Herzen miteinander musizieren.
Wie haben Sie die Methode für sich entdeckt?
Ich war als Expertin beim Stufentest an einer Musikschule eingeladen. Dabei fielen mir die Schülerinnen und Schüler einer Kollegin auf. Nicht nur musikalisch, sondern mit ihrem ganzen Auftritt. Sie trugen ihre Stücke selbstbewusst und gelassen vor. Ich fragte meine Kollegin nach ihrem Geheimnis und erfuhr so von der Suzuki-Methode. Ich begann daraufhin die Ausbildung als Suzuki-Lehrerin. Seitdem unterrichte ich danach.
Was hat dieser Schritt für Sie bedeutet?
Ich habe sehr viel dazugelernt. Ich teile nun den Unterricht in kleine Schritte auf. Das braucht eine Analyse, die mir auch als Musikerin eine neue Klarheit gibt. Das hilft mir bei der Interpretation und Performance enorm.
Und für Ihre Schülerinnen und Schüler?
Jedes Kind kann nun gut Geige spielen lernen. Das ist revolutionär. Geige ist ein schwieriges Instrument. Da verlieren viele Schülerinnen und Schüler das Interesse, wenn sie keinen Lernfortschritt erleben. Jetzt kann ich den Kindern, die bei mir lernen, versprechen, dass sie gut Geige spielen werden.
Auch schwierige Stücke?
Ja. Die Schülerinnen und Schüler erreichen alle ein gutes Niveau. Aber um die schwierigen Stücke geht es nicht. Das Ziel ist, auch das einfachste Kinderlied wunderschön zu spielen. Sie treffen die Töne, spielen gefühlvoll und mit einem schönen Klang.
Welche Rolle spielt das Talent im Musikunterricht?
Es ist keine Frage mehr, ob Talent vorhanden ist oder nicht. Talent bestimmt eigentlich nur das Lerntempo. Mir ist es wichtig, dass die Kinder das Musizieren lieben. Ich will ihnen die Möglichkeit geben, ihr ganzes Leben lang Musik zu machen. Das bildet auch den Charakter.
Wie das?
Die Kinder erlernen nicht nur ein Instrument. Der Suzuki-Unterricht fördert auch Geduld, Disziplin und Konzentration. Sie lernen zudem, Gefühle mit Musik auszudrücken. Beim Auftritt und im Zusammenspiel mit anderen Kindern profitieren sie auch sozial.
Kleine Kinder sind noch stark auf ihre Eltern angewiesen. Welche Rolle spielen diese im Suzuki-Unterricht?
Die Eltern sind von Anfang an dabei – egal, ob das Kind drei oder sieben Jahre alt ist. Sie begleiten die musikalische Entwicklung und unterstützen das Musizieren daheim. Ich erkläre die Spieltechnik so, dass die Kinder und die Erwachsenen es verstehen. Daheim üben sie es dann gemeinsam, bis es sitzt.
«Die Eltern gehören zum Lernprozess.»
Das klingt nach viel Arbeit für die Eltern.
Ja, denn Suzuki ist nicht nur Unterricht. Es ist Erziehung mit Musik. Ich bin mit den Eltern immer ehrlich: Es ist zunächst aufwendig. Denn sie gehören zum Lernprozess und besuchen zu Beginn den Unterricht gemeinsam mit den Kindern. Daheim gestalten sie die Lernumgebung und etablieren die Gewohnheit, täglich Geige zu üben.
Schreckt das die Eltern nicht ab?
Nicht unbedingt. Eltern, die zu mir kommen, wollen ihren Kindern Musik schenken. Mit Suzuki bekommen sie die Möglichkeit, ihr Kind zu fördern und ihm die Freude an der Musik zu schenken. Als Suzuki-Lehrerin begleite ich die Familie dabei. Ich leite die Eltern an, wie sie den Alltag lernfreundlicher gestalten und ihr Kind beim Üben begleiten können.
Wie gelingt das?
Es braucht viel Musik im Alltag, damit die Kinder über das Gehör lernen. Ausserdem sollte man einen festen Platz zum Üben einrichten – und das Handy soll weggelegt werden. So bleibt der Fokus auf der Musik.
Und wenn das Kind nicht üben will?
Dann braucht es Ermutigung. Wenn ein Kind sprechen lernt, wird es für jedes neue Wort überschwänglich gelobt. Im Musikunterricht muss man zwar nicht ständig loben, aber das, was ein Kind gut macht, soll benannt werden.
Wie weisen Sie auf Fehler hin?
Zuerst lobe ich, was gut gelungen ist. Danach gebe ich eine neue Herausforderung: das, was noch nicht gelungen ist. Zum Beispiel lobe ich die Haltung der linken Hand und fordere es auf, dabei noch den kleinen Finger zu runden. Ich will ein gutes Gefühl hinterlassen und vermitteln, dass Geigespielen einfach ist.
Wo sehen Sie das Potenzial der Methode für den regulären Schulunterricht?
Die Suzuki-Philosophie passt gut in die Volksschule: Jedes Kind kann lernen und hat Potenzial, ein hohes Niveau zu erreichen. Vieles hängt von unserer Einstellung als Lehrperson ab. Wir leben in einer pädagogischen Kultur, in der wir eher schauen, was fehlt, wenn etwas nicht klappt. Als Suzuki-Lehrerin suche ich jeweils nach anderen Möglichkeiten, um ein Kind zu erreichen.
Ist das sozusagen die pädagogische Quintessenz von Suzuki?
Ja. Ein wichtiger Fokus liegt auch auf der Arbeit mit den Eltern. Ich gebe ihnen das Repertoire mit, wie sie daheim mit positiven Formulierungen ihr Kind zum Üben motivieren können. Ich pflege den Kontakt bewusst und kommuniziere regelmässig, was gut läuft. Eltern freuen sich über positive Rückmeldungen.
In der Schule hat Musik nur beschränkt Platz und Zeit. Wie können Lehrpersonen den Alltag musikalisch bereichern?
Kleine musikalische Rituale sind Gold wert. Man kann beim Eintreffen der Kinder zum Beispiel immer die gleiche CD laufen lassen. Das schafft Struktur und gibt jedem Kind ganz einfach eine Grundmusikalität. Mit klassischer Musik, die leise im Hintergrund läuft, kann man auch gezielt etwas Ruhe in den Alltag bringen.