DIGITALE BILDUNG

Sicherheit –um jeden Preis?

Aus Sorge um ihre Kinder greifen viele Eltern zu Ortungshilfen und Smartwatches. Sie erhoffen sich mehr Sicherheit, doch der pädagogische Nutzen der Geräte ist fragwürdig. Die wichtigsten Antworten dazu.

Mädchen blickt auf eine Smartwatch.
Kinder finden Smartwatches cool. Die Uhren haben aber auch problematische Seiten. Foto: iStock/CasarsaGuru

Eltern wollen die Sicherheit ihrer Kinder gewährleisten. Mit Smartwatches und digitalen Ortungsgeräten wie Airtags oder GPS-Trackern haben sie heute zahlreiche Optionen zur Hand, den Nachwuchs jederzeit zu lokalisieren. Doch sind solche Gadgets wirklich sinnvoll? Und welche Gefahren bringen sie mit sich? BILDUNG SCHWEIZ hat mit Expertinnen und Experten aus Technik, Pädagogik und Datenschutz gesprochen – und beantwortet die wichtigsten Fragen.

Welche Geräte sind im Einsatz und wie funktionieren sie?

Gadget-Experte Lorenz Keller unterscheidet zwischen passiven Trackern wie Airtags und aktiveren Geräten wie Smartwatches für Kinder. Tracker senden Positionsdaten, meist mit Verzögerung. Sie funktionieren besser in Städten als auf dem Land und sind eigentlich für Gepäck oder Schlüssel gedacht. Bei intelligenten Kinderuhren hingegen sind SIM-Karten und GPS eingebaut. Sie erlauben Anrufe, Textnachrichten und eine Live-Ortung. «Eltern können so jederzeit sehen, wohin sich ihr Kind bewegt», fasst Keller zusammen.

Warum setzen Eltern auf Überwachungs-Tools?

Technologie-Unternehmen haben Eltern als Markt für ihre Geräte entdeckt. Das bestätigt auch Datenschutzexpertin Sandra Husi: «Die Anbieter adressieren gezielt die Ängste der Eltern.» Das Bedürfnis nach Sicherheit sei zentral, betont auch Anja Meier von Pro Juventute. «Eltern wollen Gewissheit, dass ihr Kind gut angekommen ist oder im Notfall Hilfe holen kann.» Dafür habe man bei der Stiftung Verständnis, vergleicht die Geräte aber auch mit einer Art digitaler Nabelschnur, die kontraproduktiv sein kann. «So wird erschwert, dass Kinder altersgerechte Lernerfahrungen machen.»

Welche Risiken entstehen?

Tracker und Smartwatches vermittelten eine falsche Sicherheit. Sie schützten nicht vor einem Unfall, oder dass das Kind von fremden Menschen angesprochen wird, so Husi. Und die Geräte könnten missbraucht werden. Die Datenschutzexpertin erklärt, dass viele Geräte technisch unzureichend gesichert seien. So können Hacker zum Beispiel Standort- oder andere Daten abgreifen und missbrauchen.

«Kinder lernen Selbstständigkeit durch eigene Entscheidungen, nicht durch Kontrolle.»

Besonders problematisch sei es, wenn Mikrofone aktiviert und Gespräche mitgehört werden. Lorenz Keller sagt dazu: «Einige Uhren erlauben sogar, unbemerkt das Mikrofon einzuschalten. Damit können Unterricht oder Gespräche mitgehört werden – was in der Schweiz klar illegal ist.»

 

Anja Meier gibt zu bedenken, dass diese Daten bei Herstellern oder Drittanbietern landen und für Werbung oder andere Zwecke missbraucht werden können. Und nicht nur das. Auch aus pädagogischer Sicht kann es Nachteile bei der Benutzung solcher Geräte geben. Die digitale Überwachung durch die Eltern könne die Kinder verunsichern. So könnten sie weniger Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln.

Was Vorteile bieten Tracker?

Tracker können helfen, einen verlorenen Rucksack wiederzufinden. Oder man kann herausfinden, auf welchem Spielplatz das Kind gerade ist. Kinderuhren verfügen über zusätzliche Möglichkeiten: «Sie erlauben Absprachen wie ‹Darf ich länger bleiben?›, was die Selbstständigkeit fördern kann», meint Keller. Manchen Eltern würde es so gelingen, den Kauf eines Smartphones hinauszuzögern.

Unterricht abgehört

Der Schulrat der Gemeinde Arth (SZ) hat ein Verbot für private digitale Geräte eingeführt. Es gilt seit Ende Oktober 2025. Als Grund gab der Rektor der Schule Smartwatches an. Offenbar hatten bereits Kindergartenkinder immer wieder telefonischen Kontakt mit ihren Eltern. Zudem habe es Hinweise darauf gegeben, dass der Unterricht von den Eltern mitgehört wurde, wie der Rektor gegenüber «20 Minuten» sagte. Die Dauerverbindung zwischen Kindern und ihren Eltern habe sich zuletzt intensiviert. (mk)

Beat A. Schwendimann, Leiter der pädagogischen Arbeitsstelle vom Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH), ordnet ein: «Technische Schutzmittel bieten punktuell Vorteile wie Standortorientierung oder SOS-Notrufe. Aber ihr Nutzen bleibt ohne pädagogische Begleitung begrenzt.» Entscheidend sei, dass sie transparent, situationsbezogen und zeitlich befristet eingesetzt werden. Auch Sandra Husi sieht in einzelnen Übergangssituationen einen sinnvollen Nutzen der Geräte, zum Beispiel beim ersten selbstständigen Heimweg. «Aber sicher nicht rund um die Uhr.»

Was bedeutet eine digitale Überwachung aus pädagogischer Sicht?

«Kinder lernen Selbstständigkeit durch eigene Entscheidungen, nicht durch Kontrolle», so Schwendimann. Der LCH empfehle deshalb, Regeln gemeinsam mit den Kindern zu gestalten, Schritt für Schritt Freiräume zu geben und technische Überwachung mit klar definierten Endpunkten zu versehen. Sandra Husi plädiert für eine gewisse Eigenverantwortung: «Wenn Kinder wissen, dass Mami und Papi jederzeit eingreifen, fehlt ihnen die Chance, Konflikte selbst zu lösen.» Anja Meier verweist auf das Recht auf Privatsphäre. «Geheime Überwachung ist auch in rechtlicher Hinsicht problematisch.»

Und wie erleben Kinder die Überwachung?

Alle Fachpersonen betonen: Transparenz ist entscheidend. Werden Kinder heimlich überwacht, kann dies das Vertrauen nachhaltig beschädigen. Laut Husi sollten Eltern offen erklären, weshalb sie ein Gerät einsetzen wollen, und die Reaktionen der Kinder ernst nehmen. «Kinder müssen wissen, in welchem Umfang sie überwacht werden und wozu.»

Wie lernen Kinder und Erwachsene zu vertrauen?

«Eltern können ihren Kindern dann vertrauen, wenn sie von Beginn an mit ihren Kindern im Dialog stehen, Regeln nachvollziehbar erklären und sich vor allem auch bewusst machen, dass die mittels Überwachung suggerierte Sicherheit keine ist», so Sandra Husi. Und sie fügt an: «Eltern sollen sich auch zurückerinnern und sich fragen, ob denn ihre Kindheit ohne Überwachung so viel gefährlicher war als die heutige?» Kinder lernen, indem man ihnen Raum gibt. Für Husi beginnt das im Kleinen: «Statt den definierten Schulweg nimmt das Kind eine andere Nebenstrasse. Oder es geht auf dem Nachhauseweg am Kiosk vorbei und kauft etwas Süsses.» Solche Entscheidungen treffen zu können, seien wichtig für die Entwicklung.

Wo sind die Grenzen beim Einsatz dieser Geräte?

Rechtlich ist heimliches Abhören heikel. Schwendimann stellt klar: «Gespräche von Lehrpersonen oder Mitschülerinnen ohne Einverständnis aufzuzeichnen, kann strafrechtlich relevant sein.» Schulen müssten hier klare Regeln durchsetzen. Auch Eltern sollten wissen, dass sie sich mit solchen Praktiken strafbar machen könnten. Anja Meier fasst zusammen: «Die Grenze liegt dort, wo Kontrolle wichtiger wird als Eigenständigkeit.»

«Kinder müssen wissen, in welchem Umfang sie überwacht werden und wozu.»

Ist digitale Überwachung ein gesellschaftlicher Trend?

Die Nachfrage nach Kinderuhren wächst rasant. «Bei Galaxus stiegen die Verkäufe 2025 um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr», sagt Keller. Sandra Husi beobachtet, dass Überwachung im privaten Kontext zunehmend akzeptiert werde. Es gebe Paare, die sich rund um die Uhr tracken würden. «Paradox», findet die Datenschutzexpertin. «Staatliche Überwachung lehnen wir oft ab, aber die lückenlose Kontrolle der eigenen Kinder gilt plötzlich als normal.»

Fazit: Sicherheit oder Scheinsicherheit?

GPS-Tracker und Smartwatches können punktuell entlasten. Sie ersetzen aber in keiner Weise Erziehung zur Selbstständigkeit, noch tragen sie zum Vertrauensverhältnis von Eltern und Kindern bei. Echte Sicherheit entsteht, wenn Kinder wissen, wie sie sich im Alltag verhalten können, wo sie Hilfe finden und wie sie Gefahren einschätzen müssen. Technik kann allenfalls eine Übergangshilfe sein. Doch langfristig bleibt Vertrauen das beste Fundament.

Autor
Franziska Pahle

Datum

26.11.2025

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