Die Fachstelle «liebesexundsoweiter» bietet neben kostenloser Beratung auch Weiterbildungen sowie Schulbesuche ausgebildeter Sexualpädagoginnen und -pädagogen an. Letztere sind explizit als Ergänzung des Aufklärungsunterrichts gedacht. Es könne sinnvoll sein, dass Jugendliche intime Fragen den Fachpersonen stellen würden und nicht einer Lehrperson, bei der sie mehrere Jahre zur Schule gingen, sagt Studach. «Es geht bei dem Thema auch um Nähe und Distanz.» Auch externe Fachleute seien an die Schweigepflicht gebunden.
Die Nachfrage scheint tatsächlich gross zu sein. Studach und ihr Team betreuen im Kanton Zürich pro Jahr 150 Klassen. Die Fachstelle sexuelle Gesundheit Aargau (Seges) beschäftigt momentan 8 Personen für 250 Klassen. Eigentlich seien die Ressourcen für höchstens 70 berechnet, sagt Geschäftsleiter Michael Ganz. Die Nachfrage nach externer Unterstützung sei jedoch gestiegen. «Innerhalb weniger Jahre hat sich die Anzahl der Klasseneinsätze versiebenfacht.» Er empfiehlt, dass sich Lehrpersonen derselben Schule absprechen. Oft wecke der Besuch der Sexualpädagoginnen und -pädagogen auch das Interesse weiterer Klassen. Zentral für das Gelingen des Schulbesuches ist die Rolle der Schulleitung. «Sie muss sicherstellen, dass die Mindestinhalte, wie Anatomie, Pubertätsveränderungen und sexuelle Vielfalt, bereits im Unterricht behandelt wurden» sagt Ganz. Die Schulleitung müsse zudem Lehrerinnen und Lehrer, die sich mit sexualpädagogischen Inhalten unsicher fühlten, Unterstützung ermöglichen.
Vor jedem Schulbesuch besprechen die Fachpersonen von Seges die Unterrichtsthemen mit den Lehrpersonen. Für den 90-minütigen Unterricht dienen meist anonym gestellte Fragen der Schülerinnen und Schüler als Ausgangspunkt. Dieses Frage-Antwort-Konzept habe sich bewährt. «Das schafft einen Zugang zu Themen wie Menstruation und Verhütung», sagt der Geschäftsleiter. Um einen offenen Austausch zu ermöglichen, würden sie stets im gemischtgeschlechtlichen Team in die Klassen gehen und sich nach der Einführung aufteilen, führt Ganz aus.
Jedem Alter seine Aufklärung
Bei Schulbesuchen zur sexuellen Aufklärung werden heikle Themen angesprochen. Das ist den Fachpersonen der Beratungsstellen bewusst. «Wir legen Wert darauf, dass die Kinder jederzeit den Raum verlassen dürfen, wenn ein Thema sie überfordert – insbesondere, wenn sie möglicherweise bereits sexualisierte Gewalt erlebt haben», betont Studach. Lehrpersonen rät sie, Themen wie Verhütung oder Geschlechtskrankheiten nicht zu früh zu behandeln. «Nur durch eine ausgewogene Herangehensweise können wir eine fundierte, unaufgeregte Sexualpädagogik gewährleisten», so die Stellenleiterin. Es brauche ein Bewusstsein dafür, dass es sich bei der sexuellen Bildung um ein Menschenrecht handelt, das auch sexuellen Missbrauch verhindern soll.
«Die Kinder dürfen jederzeit den Raum verlassen.»
«Kinder sollen Fragen stellen dürfen und sachliche Antworten erhalten», sagt Ganz. Sexualität müsse als facettenreicher Bestandteil des Lebens dargestellt werden, ohne richtige oder falsche Normen zu definieren. Fundierte Sexualkunde verhindere auch, dass Jugendliche fragwürdige Quellen konsultierten. Ganz ist zuversichtlich, dass die Entwicklung klar in Richtung einer sachlichen und altersgerechten Vermittlung läuft. Ein weiteres Ziel der Sexualpädagogik sei die Entschleunigung, ergänzt Studach. Kinder und Jugendliche würden oft mit Themen konfrontiert, bevor sie diese richtig verarbeiten könnten. «Wir setzen einen Gegenpol, indem wir eine altersgerechte und fundierte Wissensvermittlung bieten.» Sexualpädagogik vermittle mehr als das Wissen über Geschlechtsteile und -verkehr. Sie umfasse Aufklärung zu Körper, Identität und Beziehungen.