Für Ihre Forschungsarbeit unterhielten Sie sich mit sechs muslimischen jungen Erwachsenen über die Schulzeit. Was erzählten sie?
ZEINAB AHMADI: Sie berichteten vom Umgang mit Diversität. Eine zentrale Erkenntnis: Sie begegneten unterschiedlichen Haltungen gegenüber ihren mehrfachen Zugehörigkeiten zu sozialen Kategorien und Lebenswelten. Diese Zugehörigkeiten sind dynamisch, nicht immer eindeutig und verhandelbar. Die jungen Erwachsenen navigierten zwischen selbstbestimmten und gesellschaftlich zugeschriebenen Rollen. In diesem Spannungsfeld entwickelten sie zentrale Kompetenzen für die Orientierung in der heutigen Welt. Sie gewannen an innerer Stärke und lernten, Widersprüche auszuhalten sowie Selbstreflexion. Freundschaften, Familie oder auch religiöse Werte waren für sie zentrale Ressourcen, um ihre Erfahrungen einzuordnen.
Wie haben Sie Diversität in Ihrer eigenen Schulzeit in der Schweiz wahrgenommen?
Damals war das Thema Diversität oft negativ besetzt. Es gab kaum Möglichkeiten, mich mit meinen verschiedenen Zugehörigkeiten auf konstruktive Art und Weise auseinanderzusetzen. Deshalb habe ich versucht, sie unsichtbar zu machen. Die befragten Jugendlichen berichteten Ähnliches – etwa bezüglich ihrer religiösen oder sozioökonomischen Zugehörigkeit.
Wann merken muslimische Kinder in der Schweiz erstmals, dass sie anders behandelt werden?
In unserer Forschung gehen wir davon aus, dass Diversität und soziale Unterschiede – etwa das Muslimischsein – erst durch Interaktionen relevant werden. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn Lehrpersonen einen muslimisch gelesenen Schüler danach fragen, wie es denn «bei euch» ist. Häufig wird ihr Verhalten mit der Erklärfolie «Islam» eingeordnet. Dies greift aber zu kurz und befreit die Institutionen von Selbstreflexion. Zudem werden gewisse Formen von Diversität als positiv bewertet, andere als eher negativ. Im Falle von Musliminnen und Muslimen ist das eng verzahnt mit der Frage, wie sichtbar man ist. Verschiedene Facetten von Diversität überschneiden sich auch. Eine junge schwarze Frau mit Kopftuch hat von spezifischen Rassismuserfahrungen berichtet. Sie wurde von ihren Lehrpersonen aufgrund ihrer ruhigen Art und guten Noten jedoch gleichzeitig als eine der «Guten» bezeichnet.
