Fehlende Anerkennung

Schulassistenzen – alle brauchen sie, aber kaum jemand hört ihnen zu

Sie werden geschätzt, aber unterstützt werden sie kaum: Schulassistenzen oder Klassenhilfen kämpfen um Anerkennung. Nach wie vor herrscht Wildwuchs bei der Anstellung und die Hürden für eine anerkannte Ausbildung sind hoch.

Eine Frau lehnt sich auf ein Pult und spricht mit einem Mädchen.
Die gelernte Pflegefachfrau Judith Scheidegger arbeitet in Glattfelden (ZH) als Schulassistentin. Als Vorstandsmitglied des Schulassistenzverbands kämpft sie für einheitlichere Arbeitsbedingungen und eine anerkannte Ausbildung. Foto: Urs Jaudas

Neuerdings wird in Stelleninseraten für Lehrpersonen sogar damit geworben, dass sie auf die Unterstützung einer Schulassistenz zählen können. Die Stadt Dietikon im Kanton Zürich schreibt zum Beispiel: «Wir bieten Unterstützung und Beratung durch die Schulleitung, Schulsozialarbeit, Schulsozialpädagogen und -pädagoginnen, verschiedene pädagogische Fachstellen und Schulassistenzen.»

Was irgendwann im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends begann, ist mittlerweile kaum mehr aus den Schulen wegzudenken: In der jährlichen Umfrage der Konferenz der Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) geben die meisten Kantone jedenfalls an, dass es an ihren Schulen Unterstützungspersonal gebe.

Niemand weiss, wie viele es sind

Nur Zahlen dazu existieren kaum. National schon gar nicht, aber auch Kantone können oft nicht weiterhelfen. Eine Ausnahme bildet der Kanton Bern: Dort sind es 2147 Personen, insgesamt 178 Vollzeitstellen, wie die Bildungsdirektion auf Anfrage von BILDUNG SCHWEIZ mitteilt. Daraus lässt sich ablesen, dass die meisten in Kleinstpensen angestellt sind. Das bestätigt auch eine 2020 von der pädagogischen Hochschule Zürich gemachte Analyse zur Situation im Kanton Zürich.

Bei dessen Verwaltung zielt eine Anfrage zu konkreten Zahlen hingegen ins Leere, obwohl Tausende von Personen als Schulassistenzen arbeiten. Ein Indiz dafür ist eine Umfrage des relativ jungen Dachverbands der Schulassistenzen. Obwohl die Umfrage aus dem Jahr 2023 kein vollständiges Bild vermitteln kann, weil nicht alle Schulgemeinden mitgemacht haben, zählte der Verband 3000 Schulassistenzen. Deren effektive Zahl dürfte also noch höher liegen.

«Der Wildwuchs muss ein Ende haben», Kommentar von LCH-Geschäftsleitungsmitglied Daniel Gebauer auf LCH.ch, 14.10.2024

Gekommen, um zu bleiben

Klar ist: Bei knapp 16'500 Lehrkräften im Kanton Bern und 18'600 im Kanton Zürich (inklusive Heilpädagogik und Schulleitung) ist dieses Unterstützungspersonal mittlerweile ein Faktor, der zählt.

Für Judith Scheidegger, Vorstandsmitglied des Schulassistenzverbands, ist offensichtlich: Die noch relativ junge Funktion, die mal Schulassistenz, mal Klassenhilfe genannt wird, verschwindet nicht mehr. Sie wird bleiben. Entsprechend schwer tut sich Scheidegger damit, dass die Behörden zögern, die nötigen Rahmenbedingungen für diese neue Funktion zu schaffen.

Zu regeln wären etwa das Anstellungsverhältnis, die Aufgaben und das Anforderungsprofil. Was wiederum die Frage nach der erforderlichen Ausbildung aufwirft. Für die Berufswelt ist das eine Konstante: Sie muss sich wandelnden Bedürfnissen der Wirtschaft oder der Gesellschaft anpassen. Das war in der Informatik so, in der Pflege oder neuerdings in der Solarbranche. In letzterer wurden kürzlich zwei neue Berufe geschaffen. 160 Personen haben diesen Sommer die neue Ausbildung in Angriff genommen.

Es geht nur harzig vorwärts

Doch im Bildungssektor sind die Voraussetzungen offenbar komplizierter. Bei der Bildungsdirektion Zürich ist zu vernehmen: Die Anstellung von Schulassistenzen sei Sache der Gemeinden. Sie hat zwar Empfehlungen dazu herausgegeben. Diesen wird aber nicht überall nachgelebt, auch weil sie nicht überall bekannt sind, wie Adina Baiatu von der pädagogischen Hochschule Zürich (PH Zürich) weiss.

Baiatu hat 2020 die Arbeitssituation der Schulassistenzen analysiert. Ein Befund aus dieser Untersuchung ist, dass die kantonalen Empfehlungen für die Anstellung nur bedingt umgesetzt werden. «Manches hat sich seither aber auch verbessert», betont Baiatu. «Früher hat man Schulassistenzen angestellt, wenn eine Lehrperson mit einer herausfordernden Klassensituation Unterstützung im Unterricht benötigte», sagt sie, heute würden Schulassistenzen an den Schulen nun flexibel für unterschiedliche Aufgaben in mehreren Klassen eingesetzt. Die Anstellungen würden jedoch nach wie vor sehr unterschiedlich gehandhabt.

«Ein kantonaler Alleingang bei der Ausbildung wäre nicht zielführend. Die Frage muss auf nationaler Ebene diskutiert werden.»

Dass es auch fast zwei Jahrzehnte nach dem Auftauchen der ersten Schulassistenzen noch so uneinheitlich zu und her geht, könnte man auch so interpretieren: Bislang wurde die Problematik von den Behörden schlicht als zu wenig wichtig eingestuft, um sich eingehender damit zu befassen.

Scheideggers Verband kämpft unermüdlich dafür, dass es endlich vorwärtsgeht. Nebst den Anstellungsbedingungen möchte dieser auch eine anerkannte Ausbildung erwirken. Das scheint noch komplizierter zu sein.

Niemand fühlt sich zuständig

Das Zürcher Volksschulamt teilt mit, dass man diese Forderung nachvollziehen könne. «Ein kantonaler Alleingang wäre aber nicht zielführend. Die Frage einer Anerkennung muss auf nationaler Ebene diskutiert werden.» Die EDK spielt den Ball postwendend zurück. Anstellungsverhältnisse zu regeln, sei Sache der Kantone und der Gemeinden. Für Berufsausbildungen sei der Bund zuständig.

Als ob dieses Pingpong der Behörden nicht herausfordernd genug wäre, kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Schulassistenzen sind nicht die jüngsten, stehen also mitten im Leben mit den damit verbundenen Verpflichtungen, wie die Analyse der PH Zürich gezeigt hat. Dennoch wären viele bereit, eine Ausbildung zu absolvieren.

Scheidegger und der Berufsverband lassen trotz der Hindernisse nicht locker. Mit ihrer Mission haben sie bei Savoir Social vorgesprochen, dem schweizerischen Dachverband für die Berufsbildung im Sozialbereich.

Gemeinsames Bekenntnis wäre nötig

Fränzi Zimmerli, Geschäftsführerin von Savoir Social, bestätigt die Sondierungsgespräche. Der Verband habe auch am richtigen Ort angeklopft, sagt sie. Grob gesagt gebe es drei Vorgehensmöglichkeiten, um zu einer Ausbildung und damit einem anerkannten Abschluss zu gelangen. Bei der ersten baut der Berufsverband der Schulassistenzen selbst eine Ausbildung auf, die von den zuständigen Behörden aber akzeptiert werden muss. Oder aber pädagogische Hochschulen bieten einen Ausbildungsgang an. Dort setzt Zimmerli jedoch ein Fragezeichen, ob diese dort am richtigen Ort angesiedelt wäre. Eine PH sei eine Hochschule, im Vordergrund stehe aber eine Qualifikation von Berufsleuten.

Der dritte Weg führt darum über die reguläre Berufsbildung. Dafür ist im Bereich Soziales, inklusive Bildung und Beratung, Savoir Social zuständig. Anzusiedeln wäre der Bildungsgang aus Sicht Zimmerlis im tertiären Bereich, da die meisten Schulassistenzen bereits eine Erstausbildung haben und mitten im Erwerbsleben stehen. Passend erscheint ihr eine Weiterbildung, die mit einem eidgenössisch anerkannten Fachausweis abgeschlossen würde. Diesen kann man üblicherweise nach zwei Jahren Berufserfahrung in 20 bis 25 Kurstagen und einer Abschlussprüfung erwerben. Kostenpunkt: ungefähr 8000 Franken.

Solche Ausbildungen sind Teil der nationalen Berufsbildung und werden darum vom Bund und zum Teil auch von den Arbeitgebenden subventioniert. «Bevor dieser Weg jedoch beschritten werden kann, braucht es einen Bedarfsnachweis», erläutert Zimmerli. Damit dieser gelingt, müssen sich Arbeitnehmende und Arbeitgebende laut Zimmerli über das Berufsprofil und die Kompetenzen verständigen. Um einen eidgenössischen Abschluss anzustreben, muss sich die Branche gemeinsam organisieren. Alternativ zum Fachausweis sieht Zimmerli noch den Weg eines kantonalen Pilotversuchs, dem sich andere Kantone später anschliessen könnten.

Aufgabe motiviert Schulassistenzen

Die Vorkämpferinnen des Schulassistenzverbands werden also weiterhin einen langen Atem haben müssen. Judith Scheidegger ist motiviert dazu. Die gelernte Pflegefachfrau hat in ihrer Tätigkeit als Schulassistenz in Glattfelden (ZH) eine erfüllende Arbeit gefunden, für die es sich einzustehen lohnt.

«Schulassistenzen sind keine Konkurrenz zu Lehrpersonen, sondern eine Ergänzung.»

Die Kurse von Adina Baiatu an der PH Zürich zeigen auch, dass Schulassistenzen sich weiterbilden wollen. Seit die PH 2015 damit startete, nehmen jeweils 60 bis 90 Personen pro Semester daran teil. Dies, obschon die Kurse bis jetzt zu keinem anerkannten Abschluss führen.

Zumindest etwas hat sich in letzter Zeit verbessert: Es ist heute klarer, wie Schulassistenzen eingesetzt werden sollen. Dafür sorgen diverse Leitfäden und Empfehlungen von Bildungsinstitutionen oder -direktionen sowie das Berufsbild, das der Verband der Schulassistenzen im Februar 2024 herausgegeben hat.

Judith Scheidegger betont in diesem Zusammenhang: «Wir sind keine Konkurrenz zu den Lehrpersonen, sondern eine Ergänzung.» Sinnvoll eingesetzt sorgten Schulassistenzen für Entlastung im Klassenzimmer.

Weiter im Netz

Berufsbild Schulassistenz des Schulassistenzverbands: bit.ly/4daHuO7

Autor
Christoph Aebischer

Datum

14.10.2024

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