Förderklassen

«Nicht die Inklusion scheitert, sondern deren Umsetzung»

Einige Kantone wollen wieder Förderklassen einführen. Clarita Kunz, Autorin, Heilpädagogin und Leiterin des Montessori-Kindergartens in Meilen im Kanton Zürich, hält das für falsch.

Eine Person sitzt vor einer Wandtafel und hat die Stirn in eine Hand gelegt.
Die Anforderungen der Inklusion überfordern einige Lehrpersonen. Die Umsetzung der Inklusion sei gescheitert, sagt Clarita Kunz. Bild: iStock/bobbieo

BILDUNG SCHWEIZ: Sie sind Heilpädagogin und Leiterin eines Kindergartens. Sie finden, Volksschulen fördern Kinder zu wenig individuell. Weshalb?

CLARITA KUNZ: An der Unesco-Konferenz zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse von 1994 in Salamanca wurde eine Erklärung verabschiedet. Darin wird gefordert, dass Bildungssysteme so konzipiert und umgesetzt werden, dass sie die einzigartigen Lernbedürfnisse und Fähigkeiten jedes Kindes berücksichtigen. Individualisiertes Lernen ist gemäss Forschenden der Erziehungswissenschaften die geeignete Methode, um dem zu entsprechen. Davon ist man heute weit entfernt. Zwar werden mehr Kinder mit besonderen Bedürfnissen als früher inklusiv beschult. Gleichzeitig reissen aber Meldungen über ungenügende Leistungen von Schülerinnen und Schülern nicht ab. Gemäss dem internationalen Leistungstest Pisa erreicht ein Viertel der Schulkinder die Mindestziele in Deutsch und Mathematik nicht. Im Gegenzug sind Begabte unterfordert. Ein Blick ins Klassenzimmer zeigt, woher diese Probleme kommen. Hier erhalten langsam Lernende Wochenpläne und Prüfungen mit angepassten Lernzielen. Dank einfacheren Prüfungen erhalten sie also genügende Noten. Doch die wenigsten Kinder wünschen sich eine solche Sonderbehandlung. Sie wollen dieselben Lerneinheiten erarbeiten wie alle anderen. Aufgrund ihrer grossen Lücken ist das aber nicht möglich. Diese hätten schon zu Beginn der Schullaufbahn angegangen werden müssen. Kinder sollten dort abgeholt werden, wo sie stehen. Von dort aus sollen sie gefördert werden. Das gilt besonders für die Fächer Deutsch und Mathematik, die für eine Berufslehre oder weiterführende Schulen wichtig sind. Schülerinnen und Schüler sollten diese Inhalte im eigenen Tempo lernen dürfen.

Dann sind Förderklassen, wie sie in Basel-Stadt nun nach der Abschaffung der Kleinklassen vor 20 Jahren wieder vorgesehen sind, etwas Gutes?

Angesichts der höchst unbefriedigenden Situation in den Schulen besteht Konsens darüber, dass es so nicht weitergehen kann. Doch deswegen die Inklusion für gescheitert zu erklären, ist falsch. Nicht die Inklusion scheitert, sondern deren Umsetzung. Das ist ein Unterschied. Zu sagen, die Inklusion sei gescheitert, bedeutet, die Flinte ins Korn zu werfen. Störende Kinder wieder zu separieren, ist reine Symptombekämpfung und zeugt von Hilf- und Ideenlosigkeit. Immerhin dürfen Kinder in Basel-Stadt nach dem Ja zu Förderklassen im Parlament nur für höchstens zwei Jahre in eine solche eingeteilt werden.

Auch in Zürich sollen gemäss einer Initiative wieder Förderklassen eingeführt werden.

Zürcher Schulgemeinden konnten bereits vorher Förderklassen einführen. Deshalb war die Initiative völlig überflüssig. Anders als in Basel-Stadt bleiben Kinder, die einer solchen Klasse zugeteilt werden, meist bis zum Ende der Schulzeit dort, was ihnen die Berufskarriere enorm erschweren kann. Eine zukunftstaugliche Schule muss ohne separierende Massnahmen auskommen, da diese, abgesehen von Einzelfällen, diskriminieren und schaden. Inklusion wird oberstes Ziel bleiben. Deren Umsetzung muss aber dringend überdacht werden.

 

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«Schule als Leistungsbremse» von Clarita Kunz

Autor
(red)

Datum

31.03.2025

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