PÄDAGOGIK

Musik im Kindergarten soll ein positives Erlebnis sein

Für den Kindergarten ist die Musik, was für Pizza der Käse ist. Sie gehören zusammen. BILDUNG SCHWEIZ war einen Morgen im Kindergarten Oberfeld in Frutigen. Wie setzt die dortige Kindergärtnerin die Musik im Kindergartenalltag ein? Und welche Rolle spielt sie?

Singen und Musizieren im Kindsgi.
Die Kinder begleiten ihren Gesang mit Rhythmusinstrumenten. Fotos: Claudia Baumberger

«Musik ist ein Fach, wo man einfach darf, aber nicht muss», sagt Kindergartenlehrerin Franziska Albertani. Nach diesem Prinzip gestaltet sie auch ihren Unterricht im bernischen Frutigen. Das Schulhaus Oberfeld, in dem sie unterrichtet, thront hoch über dem Tal. Es ist ein kalter Dezembermorgen. Die Kinder strömen von überall her Richtung Schulhaus. Alle sprechen ein markantes Oberländerberndeutsch. Die Kindergartenkinder warten brav auf dem Bänkli vor dem Schulhaus, bis Albertani sie abholt.

«Jedes Kind darf frei mitsingen. Es soll Freude an der Musik haben.»

Die vier- bis sechsjährigen Kinder schubsen nicht herum und es fallen keine lauten oder groben Worte. Eines nach dem andern gibt der Kindergartenlehrerin die Hand und geht dann hinauf in den dritten Stock, wo es seine warme Jacke, Überhosen und Stiefel selbstständig auszieht und in die Finken schlüpft. Der Kindergarten, eine umgebaute Dachwohnung, strahlt Geborgenheit aus und bietet in den verschiedenen Zimmern unterschiedliche Spielmöglichkeiten an. Das grösste Zimmer ist adventlich geschmückt, die Storen verdunkeln den Raum ein wenig und leise Musik tönt aus dem CD-Player. Die Kinder setzen sich ruhig auf ihren Stuhl im Kreis.

Musikalisches Adventsritual

«Ängeli, Ängeli, au wen i Di nid cha gse, bisch du immer da für mi», singt Albertanis Klasse. Es ist Dezember und das Lied ist Teil des Adventsrituals, bei dem jeweils ein Kind ein Adventstürchen öffnen und eine Karte mit einer Engelsgeschichte nehmen darf, die Albertani danach erzählt. Aus dem Kalender kommt an diesem Morgen ein König für die Kindergartenkrippe zum Vorschein. Nachdem die Kindergärtnerin eine Geschichte erzählt hat, legt sich das auserwählte Kind in die Mitte des Stuhlkreises auf den Boden. Dann singen die anderen Kinder das Lied.

Zum Singen gehören auch musikalische Rhythmusübungen. In der Mitte des Raums liegen verschiedene Rhythmusinstrumente. «Wie macht man Güetzli?», fragt die Lehrerin. «Teig machen, auswallen, Güetzli ausstechen, backen!» Die Kinder wissen gut Bescheid. Zusammen mit der Klasse mimt Albertani Bewegungen wie beim Backen und gibt wiederholt die einzelnen Schritte in stark rhythmisierter Sprache wieder: «Teig uströlä, Teig uströlä.» Die Kinder reden ebenso rhythmisiert mit und streichen dabei über ihre Oberschenkel. Zum Teigausstechen gibt die Lehrerin jedem Kind ein Förmchen, das es in die rechte Hand nehmen muss – nicht für alle Kinder eine einfache Aufgabe. Als es alle Förmchen in eine rechte Hand geschafft haben, zeigt die Lehrerin auf dem eigenen Oberschenkel, wie der Teig ausgestochen wird, bevor das Förmchen nach rechts weitergegeben wird. «Teig usstächä, Teig usstächä, witergä.» Die Kinder sprechen rhythmisiert und begleiten die Verse mit Bewegungen im Takt. Zum Abschluss dieser Sequenz singen die Kinder das Lied «Güetzli mache, Gschänkli mache, bald isch de Wiehnacht, das macht Fröid». Danach beginnt das freie Spiel und später die Pause.

Musikunterricht ohne Wertung

Albertani hat die Fortbildung musikalische Früherziehung und das CAS musikalische Grundschule abgeschlossen. Zudem hat sie viele Weiterbildungen zu Musik, unter anderem bei Andrew Bond und Stephanie Jacobi-Murer, besucht. Musikalische Früherziehung will sie ohne Zwänge vermitteln. Sie findet darum auch die Bewertungen der musikalischen Leistung im Kindergarten kontraproduktiv.

«Jedes Kind darf frei mitsingen», erzählt die Lehrerin in der grossen Pause im Lehrpersonenzimmer. «Es soll Freude an der Musik haben.» Ein Kind könne damit seine Gefühle zum Ausdruck bringen, unbeschwert sein und mit den anderen zusammen Gemeinschaft erfahren. Es soll die Musik positiv erleben.

Ohne Druck können mit Musik dennoch viele Kompetenzen vermittelt werden. «Über Musik kann man die Körperwahrnehmung und das Rhythmusgefühl schulen, zuhören und Geräusche wahrnehmen lernen», erklärt Albertani. Zudem erfahren die Kinder, was sie mit der Stimme alles machen können. Musik fördere die Kompetenz, zusammen etwas zu erschaffen, beflügle aber auch den Mut, allein hinzustehen. Im Musikunterricht des Kindergartens lernen die Kinder Instrumente kennen, darunter auch die aus dem musikpädagogischen Konzept Carl Orffs, und sie erhalten die Grundlage für den späteren Musikunterricht.

Die Vielfalt der Lernlieder

Zunehmend setzt Albertani auch Medien wie Spotify ein. Dort habe es viele Kinderlieder und man könne thematisch nach Stücken suchen, die zum Unterrichtsstoff passen. Musik kann im Unterricht vielfältig eingesetzt werden, weiss die Lehrerin. So könnten beispielsweise die Wochentage, Zahlen oder Buchstaben in einem Lied gelernt werden. Ausserdem sei Albertani in ihren vielen Jahren als Kindergartenlehrerin aufgefallen, dass die Sprachentwicklung der Kinder heute oft weniger weit sei als früher. Auch hier helfe die Musik und biete eine gute Gelegenheit, die Sprachentwicklung mit Versen, Liedern oder Rhythmusspielen zu unterstützen.

Schliesslich spiele der Gesang in Ritualen eine grosse Rolle: zum Geburtstag, am Morgen zur Begrüssung, zum Znüni, zum Heimgehen oder zum Trösten. Musik scheint den Kindern auch unabhängig von bestimmten Anlässen wichtig zu sein: Die Lehrerin beobachte oft, dass die Kinder beim freien Spiel vor sich hinsingen.

Rhythmus verinnerlichen

Nach der grossen Pause trifft sich die Kindergartenklasse wieder im Kreis. Noch einmal spricht die Lehrerin mit den Kindern zusammen «Teig uströle, Teig usstächä, Güetzli, mmm» im Takt. Sobald dieser sitzt, reicht sie den Kindern Rhythmusinstrumente. Zum Teigauswallen gibt es Klanghölzer und einen Teigroller, zum Teigausstechen Förmchen. Für die gebackenen Güetzli schütteln die Kinder Rasseleier und schlagen für den feinen Duft der Backwaren einen Triangel an, während sie «mmmh» machen. Die Gruppe der Teigauswaller-Kinder beginnen: «Teig uströlä, Teig uströlä.» Darauf folgt die Gruppe mit den Förmchen und Schütteleiern: «Teig usstächä, Teig usstächä.» Später kommt die Handtrommel im Rhythmus zum Wort «Güetzli» und zum Schluss das Kind mit dem Triangel zu «mmm». Der mit Wörtern und Perkussionsinstrumenten erzeugte Rhythmus wird mal laut, mal leise verfolgt.

«Ein Leben ohne Musik kann ich mir nicht vorstellen.»

Musik nimmt nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei Albertani eine wichtige Rolle ein. «Ein Leben ohne Musik kann ich mir nicht vorstellen», sagt die Lehrerin. Dementsprechend gestaltet sie auch den Unterricht: In ihrem Kindergarten wird täglich gesungen. Dabei kommt mal «fätzige» oder mal ruhige Musik zum Einsatz.

Inzwischen ist es kurz vor Mittag. Bevor die Kinder nach Hause gehen, versammeln sie sich nochmals im Stuhlkreis und singen das Lied «Läbet wohl, läbet wohl, chömet guet hei».

Autor
Claudia Baumberger

Datum

18.02.2025

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