Film über Waldschule
«Man kann Kindern sehr viel zutrauen»
Nathalie Pfister hat für den Dokumentarfilm «Von Kindern und Bäumen» ein Jahr lang eine Waldschule begleitet. Den Drang, bei gefährlichen Situationen einzuschreiten, habe sie mit der Zeit abgelegt. Denn Kinder könnten gut einschätzen, wie weit sie gehen können.

BILDUNG SCHWEIZ: Bevor Sie Filmemacherin wurden, waren Sie Lehrerin. Wann erwachte Ihr pädagogisches Interesse für den Wald?
NATALIE PFISTER: Die Frage, wie Kinder am besten lernen, trieb mich schon immer um. Ich habe nie geglaubt, dass Kinder – bewegungsfreudig und neugierig, wie sie sind – gut und gern lernen, wenn sie zwischen Stuhl und Bank stillsitzen sollen und mit theoretischem Wissen «gefüttert» werden. Kinder haben ein starkes Bedürfnis, selbstständig etwas zu erschaffen und brauchen dafür Gestaltungsfreiraum. Es ist immer interessant zu beobachten, was entsteht, wenn Kinder viel Freiraum haben. Während der Coronapandemie ging ich oft im Wald spazieren und kam dabei auch an einer Gruppe der Waldschule Zürich vorbei. Ich stellte fest, dass diese den Kindern viel physischen Freiraum bietet. Zu dieser Zeit durften Kinder in manchen Ländern überhaupt nicht raus und waren in den eigenen vier Wänden blockiert. Ich stellte mir die Frage, wie sich das auf sie auswirkt. Was geht da verloren? Der Trend, dass Kinder immer weniger eigenständig draussen herumstreifen können, setzt sich ja fort.
Sie haben ein Jahr lang mit der Kamera Schulkinder im Wald begleitet. Was bleibt Ihnen in Erinnerung?
Anfangs der Drehzeit hatte ich manchmal den Impuls einzuschreiten, wenn ich etwas als zu gefährlich empfand. Mit der Zeit merkte ich aber, dass die Kinder ein gutes Gespür dafür haben, wie weit sie gehen können. Das ist etwas, das mich fast am meisten überraschte: In der ganzen Zeit, in der ich dort war, gab es nie eine ernsthafte Verletzung, obwohl die Kinder mit Taschenmessern, Hämmern und Sägen hantierten. Am stärksten beeindruckt hat mich aber die Beziehung der Kinder zu ihrem Baumfreund. Dabei suchen sie sich einen Baum aus, mit dem sie Zeit verbringen. Das hat mich fasziniert und berührt. Am Anfang fiel es nicht allen Kindern leicht, sich auf die Zeit allein beim Baumfreund einzulassen. Aber im Verlauf der zweiten Klasse waren die Kinder meist so weit, dass sie die Ruhe geniessen konnten und Ideen entwickelt hatten, was sie rund um den Baum alles tun oder entdecken können. Ich denke, parallel dazu entwickelte sich dann diese Vertrautheit mit dem Baum, die man im Film so gut spürt. Es war für mich sehr eindrücklich zu erleben, wie die Kinder bei ihrem Baumfreund Geborgenheit und Trost erfahren können.
Was kann die Volksschule von der Waldschule lernen?
Dass man Kindern sehr viel zutrauen kann! Und dass man ihnen Gestaltungsfreiraum geben sollte. Das muss ja gar nicht zwingend im Wald sein. Man kann das echte Leben auch im Quartier erforschen und dort nicht nur Tieren und Pflanzen, sondern auch Menschen begegnen. Kinder könnten zum Beispiel in Gruppen Menschen bei der Arbeit besuchen und etwas über ihren Beruf erfahren. Entscheidend ist, dass sie immer wieder auch selbst ein Projekt bestimmen dürfen und dafür Gestaltungsfreiraum erhalten. Natürlich gibt es darüber hinaus viele Gründe, um mit den Schulklassen regelmässige Waldtage zu verbringen. Es ist doch so wichtig, dass Kinder unser Ökosystem mit allen Sinnen begreifen können und erleben dürfen, dass man sich darin eingebettet fühlen kann, dass ein Baum sogar Trost spenden kann.

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(red)
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