BILDUNG SCHWEIZ hat sich die Modelle dreier Kantone von deren Volksschulämtern erläutern lassen. Eines davon ist die traditionell organisierte Oberstufe im Kanton Baselland, dann die sehr heterogene Oberstufe Luzerns und schliesslich jene im Tessin, die für Schweizer Verhältnisse aus dem Rahmen fällt.
Bruno Lüthy, Leiter des Amts für Volksschulen im Kanton Basel-Landschaft, bestätigt zwar, dass sein Kanton eine traditionelle Organisation mit drei Leistungszügen kennt. Für das Übertrittsverfahren lässt er diese Bezeichnung aber nicht gelten. Denn dieses baue auf einer Gesamtbeurteilung auf, in die schulische Leistungen, das Arbeits- und Lernverhalten, Sozialverhalten sowie der Entwicklungsstand einfliessen würden. Die meisten Schulkinder würden dann basierend auf einer Empfehlung der Lehrpersonen einem Leistungsniveau zugeteilt.
In Basel-Stadt ist dies anders. Dort gilt ein komplexes Punktesystem, das auf Noten aufbaut. Je nach Fach gelten diese einfach bis dreifach. Je nach Punktzahl erfolgt dann die Zuteilung in einen der drei Leistungszüge. Im Kanton Basel-Landschaft sind es ebenfalls drei. Unterrichtet wird in separaten Klassen, aber alle befinden sich im selben Schulhaus. Grundsätzlich sind die Niveaus durchlässig. Zu den Niveauwechseln gibt es aber keine kantonalen Zahlen. Schweizweit lagen sie im Schuljahr 2019/2020 gemäss Bildungsbericht 2023 bei «nur gerade 3,5 Prozent».
Wie in Baselland basiert im Kanton Luzern die Zuteilung in ein Leistungsniveau auf einer Empfehlung der Lehrpersonen. Jedes dritte Kind kommt dann aber im Unterschied zu Baselland in einer niveaudurchmischten Klasse unter. Die Gemeinden können unter drei Modellen auswählen, wovon die beschriebene integrierte Oberstufe eines ist, wie eine Nachfrage beim dortigen Volksschulamt ergibt.
Es sei möglich, nach der Zuteilung die Stufe zu wechseln. In der Realität finde dies aber vor allem nach unten statt. Knapp 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler gehen in Luzern einen Weg, den es in Baselland gar nicht gibt: Sie machen das Langzeitgymnasium.
Im Tessin gelten andere Regeln
Bleibt der Sonderfall Tessin: Dieser geht auf die 1970er-Jahre zurück. Damals wurde das Schulsystem reformpädagogisch umgestaltet, inspiriert vom Nachbarn Italien. Der Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe findet bereits nach der fünften Klasse statt. Dieser ist aber nicht von einem Selektionsverfahren begleitet. Die Oberstufe ist weiterhin durchmischt. Erst in den letzten beiden Schuljahren wird in den Fächern Mathematik und Deutsch in nach Niveau getrennten Gruppen gefördert.
Allerdings könnte auch das bald der Vergangenheit angehören. Seit letztem Schuljahr läuft im Tessin ein Schulversuch ohne Leistungsgruppen, wie Emanuele Berger, Direktor des Tessiner Volksschulamts, auf Anfrage erklärt. Lehrpersonen planen darin gemeinsam eine differenzierte Förderung. Schülerinnen und Schüler gehen in einer gemeinsamen Klasse einen auf sie abgestimmten Weg. Bewähre sich dieser Versuch, solle die Oberstufe künftig ohne formale Selektion auskommen, so Berger.
Wichtig für das Gesamtbild ist ein Blick über das Ende der Schulzeit hinaus: Wer im Kanton Tessin die obligatorische Schule verlässt, kommt in einer anderen Welt an als in der Deutschschweiz. Der Anteil schulischer Ausbildungen ist deutlich höher. Die Quote der gymnasialen Maturität liegt bei über 33 Prozent. Fasst man alle drei Maturitätsabschlüsse zusammen, ist das Tessin Spitzenreiter.
Selbst bei den Berufslehren wird mehr als jede dritte an einer Vollzeitberufsschule absolviert. Das Tessin unterscheidet sich auch in der Zeit vor dem Schuleintritt. Seit Langem besucht ein Grossteil der Kinder den ganztägigen Kindergarten, viele schon ab dem dritten Lebensjahr.
«Wir sind fest davon überzeugt, dass alle Kinder das Recht auf eine qualitativ hochwertige Bildung haben.»
Gegnerinnen und Gegner der Selektion sehen das Tessin als Vorbild. Emanuele Berger wird von ihnen zu Referaten eingeladen wie kürzlich in Bern oder Zürich. Auf Nachfrage betont er: «Wir sind fest davon überzeugt, dass alle Kinder das Recht auf eine qualitativ hochwertige Bildung haben.» Individuelle Unterschiede liessen sich in einem integrativen schulischen Umfeld auffangen und würden sich sogar als positiv erweisen.
Selektion oder zu wenig Frühförderung?
Tatsache ist, dass bei der Aufteilung in Leistungszüge Knaben und vor allem Kinder ausländischer Eltern deutlich häufiger in den tiefsten Niveaus landen. Dies fördert eine Auswertung des Bundesamts für Statistik zutage.