Patti Basler im Interview

«Ich bin die Mujinga Kambundji der Pädagogik»

Bevor die Satirikerin Patti Basler die Bühnen der Schweiz eroberte, war sie Lehrerin. Im Gespräch erklärt sie, wo Humor im Unterricht Platz hat und wo nicht. Als ihre Paradedisziplin im Klassenzimmer betrachtet sie rückblickend kurze Stellvertretungen.

Patti Basler im Gespräch mit BILDUNG SCHWEIZ
Humor im Klassenzimmer eigne sich als Vermittlungsmethode, sagt Patti Basler im Interview mit BILDUNG SCHWEIZ. Fotos: Gion Pfander

BILDUNG SCHWEIZ: In der Schule vermöbelten Sie hin und wieder gerne Jungs. War Patti Basler ein Sorgenkind?

PATTI BASLER: Nein, denn ich vermöbelte sie auch nicht sehr oft. Nur wenn sie es nötig hatten. Vermöbeln halte ich in diesem Zusammenhang ohnehin für einen seltsamen Begriff. Ich wollte sie nicht zum Schrank machen oder zur Sitzgelegenheit. Wir sind ja nicht bei Ikea.

Das stimmt.

Dazu muss ich sagen: Bereits damals nahm ich meinen pädagogischen Auftrag ernst. Ich wollte diesen Buben zeigen, dass sie sich nicht alles erlauben können – vor allem nicht gegenüber Mädchen.

Bekannt sind Sie als Satirikerin, früher waren Sie aber Lehrerin. Fanden Ihre Schülerinnen und Schüler Sie witzig?

Teilweise schon, da müsste man aber die Betroffenen selber fragen.

Waren Sie auch eine gute Lehrerin?

Gut war ich vor allem als kurze Stellvertretung. Mit der Energie, die ich heute auf der Bühne zeige, konnte ich auf die Kids eingehen und sie individuell erfassen. Wer eine Klasse durch ein ganzes Schuljahr führt, muss hingegen konsequent und konstant sein, also quasi einen Marathon laufen. Ich war eher auf Kurzstrecken spezialisiert. Ich bin die Mujinga Kambundji der Pädagogik.

Zur Person

Patti Basler wuchs als Bauerntochter im Aargauer Fricktal auf und erwarb im Jahr 2000 an der pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz das Lehrdiplom für die Oberstufe. Bis 2013 war sie Sekundarlehrerin. 2015 schloss sie an der Universität Zürich ihr Studium in Erziehungswissenschaft, Soziologie und Kriminologie ab. 2009 nahm sie erstmals an einem Poetry-Slam teil. Seit 2015 lebt sie von ihren Auftritten und Kolumnen. (ar)

Wo hat Humor Platz in der Schule?

Etwa in einer schwierigen Situation, die er entspannen kann. Humor eignet sich auch als Vermittlungsmethode. Schulkinder prägen sich Sachthemen besser ein, die in eine lustige Geschichte verpackt sind.

Wo passt Humor nicht?

Auf Zynismus und Sarkasmus sollten Lehrpersonen besser verzichten. Kinder können das als Mobbing von oben empfinden. Auch als Erwachsene erinnern wir uns wohl noch an die eine Lehrperson, die uns vor der ganzen Klasse blossstellte. Das ist eine wahnsinnig starke Emotion. Schon in der Antike wurde bewusst mit diesem Mittel gearbeitet, weil Menschen solche Situationen nicht vergessen und bestenfalls auch der gewünschte Lernstoff dadurch hängen bleibt. Dies passiert aber auf Kosten der psychischen Gesundheit des Kindes. Das geht gar nicht.

Sie waren 13 Jahre lang Sekundarlehrerin. An was erinnern Sie sich am liebsten?

Eine Erinnerung stammt aus der Zeit, als ich den Lehrberuf längst an den Nagel gehängt hatte. Während der Coronapandemie konnte ich nicht auftreten und war meist zu Hause. Ein Nachbarskind hatte Mühe mit dem Schulstoff und dem coronabedingten Fernunterricht. Ich bot an, dieses Kind in meinem Atelier individuell zu betreuen.

«Gerade Frauen schieben oft jedem ernsten Satz ein relativierendes Lächeln hinterher. Ich nicht.»

Während des Fernunterrichts via Teams oder Zoom war dieses Kind im selben Raum wie ich, quasi unter meiner Aufsicht. Anschliessend vertieften wir das Gehörte und berücksichtigten dabei die eher geringe Aufmerksamkeitsspanne. Wir lachten viel und gingen zwischendurch zum Fussballspielen nach draussen. Die Noten des Kindes verbesserten sich signifikant. Das war eine grossartige Erfahrung. Danach ging es leistungsmässig leider wieder etwas bergab.

Gibt es auch schlechte Erinnerungen?

Ich war sehr gerne Lehrerin. Nicht gerne erinnere ich mich an Situationen, in denen ich mit einem Kind nicht weiterkam oder schlichtweg keinen Zugang zu ihm fand.

Wie wichtig ist es, eine Beziehung aufbauen zu können?

Beziehung kommt vor Erziehung. Beziehung zwischen Lehrperson und Kind sowie Klassenklima sind etwas vom Wichtigsten. Das weiss ich nicht nur aus meiner Erfahrung als Lehrerin, sondern auch als Erziehungswissenschaftlerin. Viele Studien belegen dies. Es gibt jedoch Grenzen.

Welche?

Als junge Lehrerin traf ich gelegentlich Schülerinnen und Schüler im Ausgang – ich war ja nur unwesentlich älter als sie. Ich musste mich beinahe aggressiv von diesen Kids abgrenzen, da ich die Autorität und Distanz wahren wollte. Ich wirkte damals so, wie es heute meiner Bühnenfigur nachgesagt wird: ein wenig böse. Gerade Frauen schieben oft jedem ernsten Satz ein relativierendes Lächeln hinterher. Ich nicht. Das irritierte jene Kinder, die sich liebevoll lächelnde Primarlehrerinnen gewöhnt waren.

Wurden Sie mit der Zeit freundlicher?

Ja. Bei Slam-Poetry-Workshops, die ich an Schulen gebe, lächle ich sogar absichtlich.

Bildung ist wichtig in Ihrem Berufsleben. Was fasziniert Sie daran?

Ich komme vom Bauernhof. Weibliche Intellektuelle oder kulturelle Vorbilder waren Mangelware. Die einzigen Akademikerinnen im Dorf waren die Lehrerinnen. Mit diesen identifizierte ich mich, auch weil ich lieber mit dem Kopf arbeitete als mit den Händen. Als meine ältere Schwester die pädagogische Hochschule absolvierte, wurde sie zu einer Art Vorbild. Ich tat es ihr gleich, hängte aber später noch ein Unistudium an.

Mit Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm machen Sie seit diesem Jahr regelmässig einen Podcast zu Bildungsthemen. Welches sind die drängendsten Probleme unseres Bildungssystems?

In der Schweiz wird niemand komplett abgehängt. Dennoch können bis zu 20 Prozent der jungen Menschen nach Abschluss der Volksschule einfache Texte nicht lesen, verstehen und interpretieren. Teilweise handelt es sich dabei um Kinder, die erst spät Deutsch lernen. Doch es gibt auch andere, die während ihrer Schulkarriere unter dem Radar blieben. Hier dürfen wir nicht wegschauen. Auch im Hinblick auf den Vormarsch künstlicher Intelligenz.

Wie meinen Sie das?

Dank Spracherkennung, Diktierfunktion und Chatbot können mit dem Smartphone Informationen generiert werden, ohne dass man lesen oder schreiben kann. Ein Sprachbefehl reicht, um ein Youtube-Tutorial zum Veloflicken zu erhalten.

«Wir benötigen mehr ausgebildete Lehrpersonen, mehr Schulraum und letztlich mehr Geld.»

Lesen ist aber eine derart grundlegende Kulturtechnik, dass jene, die es nicht können, niemals den Wahrheitsgehalt einer ihnen vorgelegten Information abschätzen können.

Gibt es weitere Baustellen?

Ja. Die individuelle Förderung. Der Betreuungsschlüssel an Schulen beträgt 1 zu 25. Individuelle Betreuung liegt da nicht drin. Wir benötigen mehr ausgebildete Lehrpersonen, mehr Schulraum und letztlich mehr Geld, denn der Beruf sollte attraktiv bleiben. Wir brauchen Personal, das motiviert und ambitioniert ist. Menschen mit diesen Eigenschaften sind oft früher oder später frustriert im Lehrberuf, weil sie sich ausgebremst fühlen. Oder weil sie der Administration wegen ihr Kerngeschäft vernachlässigen müssen. Ambition wird nicht immer belohnt.

Sind das die Gründe, warum Sie den Lehrberuf verlassen haben?

Nein, ich war einfach überqualifiziert. Wäre ich der akademischen Schiene treu geblieben, hätte ich dissertiert. Jetzt habe ich desertiert. Grundsätzlich will ich gerne weitergehen und weiterkommen, Neues entdecken. Aber nicht als Forscherin im stillen Kämmerlein, da fehlen einfach der Applaus und das Publikum.

Wie macht man den Lehrberuf wieder attraktiver?

Wenn ich das wüsste, hätte ich das Rezept an die pädagogischen Hochschulen verkauft und wäre reich. Finnland soll das ganz gut hinkriegen.

«Renn! Renn, so schnell du kannst! Flieh, noch bevor du im Burnout landest!»

Dort soll der Lehrberuf so angesehen sein, dass pädagogische Hochschulen einen Numerus Clausus brauchen.

Welchen Ratschlag erteilen Sie jungen Lehrpersonen?

Renn! Renn, so schnell du kannst! Flieh, noch bevor du im Burnout landest! Jenen, die im Beruf bleiben wollen, sage ich: Teile deine Energie gut ein, damit sie das ganze Jahr über reicht.

Ideen, wie man dies schafft?

Es hilft sicher, menschlich zu bleiben. Mit sich selber im Frieden zu sein. Akzeptieren, dass man selber Fehler macht und dass auch Eltern und Kinder Fehler machen. Zudem empfehle ich, hin und wieder das Ritalin-Depot der Kids zu plündern. Ausreichend aufputschende Drogen in der Schublade zu horten, kann nicht schaden. Kaffee alleine reicht heutzutage einfach nicht mehr.

Autor
Alex Rudolf

Datum

05.10.2024

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