Roli soll zusammen mit drei Mitschülerinnen und Mitschülern Matheaufgaben lösen. Die drei anderen Kinder scheinen alles problemlos zu begreifen, sprechen über das Rechenproblem, notieren die Lösung und nehmen sich der nächsten Aufgabe an. Roli geht es zu schnell. Deshalb schreibt er nur die Lösungen auf, versteht sie aber nicht. Er getraut sich nicht, seine Schwierigkeiten bei den selbstbewussten Kindern anzusprechen.
Das Arbeiten und Lernen im Team respektive in der Gruppe kann herausfordernd sein. Während Teamwork in der Geschäftswelt manchmal als die Antwort auf jedes Problem hingestellt wird, kann die Realität sowohl im Geschäfts- als auch im Schulalltag anders aussehen. Zum Beispiel lernen einige Kinder bei bestimmten Themen nicht so schnell wie andere, wie es beim fiktiven Schüler Roli der Fall ist. Wann ist Gruppenarbeit überhaupt angebracht?
Gruppenarbeit muss man können
Bevor Kinder gemeinsam Aufgaben lösen sollen, sollten sie das Arbeiten in der Gruppe überhaupt erst erlernen, sagt Dozentin Katrin Graber vom Institut pädagogische Psychologie der pädagogischen Hochschule (PH) St. Gallen. Viele Lehrpersonen setzen diese Fähigkeit nämlich einfach voraus.
Grundsätzlich kann die Gruppenarbeit gemäss Graber dabei helfen, dass die Schülerinnen und Schüler etwas im Bereich der sozialen Kompetenzen lernen. Bei neuen Klassen kann sie gerade in der frühen Phase auch den Zusammenhalt stärken. Beim Lernen kann eine Gruppe ebenfalls hilfreich sein. Als Faustregel, wann eine Gruppenarbeit angezeigt ist, formuliert die Dozentin: «Das gemeinsame Resultat sollte besser sein, als wenn alle einzeln arbeiten.» Im Zentrum stehe immer die Frage, wie die Kinder am besten zu einem vertieften Denken angeregt werden: alleine oder in der Gruppe?
«In Gruppen organisieren sich die Kinder selbst und nehmen unterschiedliche Rollen ein.»
Mit dieser Frage setzt sich auch Andrea Schafflützel auseinander. Sie unterrichtet an der Schule Gaiserwald im Kanton St. Gallen. Für Gruppenarbeiten sprechen bei ihr ebenfalls die sozialen Kompetenzen, die dabei erworben werden. «In Gruppen organisieren sich die Kinder selbst und nehmen oft unbewusst unterschiedliche Rollen ein», sagt die Lehrerin. Ein Kind übernehme oft die Führung, während ein anderes etwa darauf achte, dass die Regeln eingehalten werden. Die Rollenverteilung ändere sich je nach Gruppenzusammensetzung, was den Kindern dabei helfe, ihre sozialen Kompetenzen kontinuierlich zu verbessern.
Ein weiterer grosser Vorteil sei auch die gegenseitige Unterstützung der Kinder: «Sie erklären einander die Regeln, helfen sich bei Schwierigkeiten und fördern so ein kooperatives Lernumfeld», sagt Schafflützel. Dabei gäben sie sich ein ehrliches und konstruktives Feedback. Das helfe nicht nur beim Lernen, sondern stärke auch das Gemeinschaftsgefühl. Schliesslich könne die Zusammenarbeit die Motivation steigern, da sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig anspornten.
Die PH-Dozentin Graber sagt ergänzend: Man erlebe zusammen mehr, lache vielleicht gemeinsam und versuche, unterschiedlichen Meinungen mit Kompromissen zu begegnen. Sei die Dynamik in einer Gruppe gut, könne das für das Lernen förderlich sein – besonders, wenn man zusammen handlungsorientiert lerne, zum Beispiel draussen in der Natur oder an besonderen Schauplätzen.
Manchmal ist alleine besser
Doch es gibt eben Situationen, in denen Kinder allein produktiver arbeiten. Manchmal kann ein bestimmtes Kind sich selbst am besten vorwärtsbringen, so Graber. Auch können beim gemeinsamen Arbeiten negative Effekte auftreten: «Dabei geht es im Kern immer darum, dass man sich gegenseitig beeinflusst und somit entweder selber weniger eigenständig denkt oder im schlimmsten Fall auch Trittbrett fährt», erläutert die Dozentin. «Ist Letzteres der Fall, hängt man sich beim Lernen den anderen an und ist selbst kaum mehr aktiv – was im Endeffekt dazu führt, dass man weniger lernt.» Ein weiterer Vorteil der Einzelarbeit könne auch weniger Ablenkung sein. Das verbessere und verlängere je nachdem die Konzentrationsphasen.