Es ist Sonntagmorgen. Viele Jugendliche frönen dem süssen Nichtstun. Rafaela Pastore Lopo jedoch ist schon seit sechs Uhr auf. Sie verbringt den Morgen umzingelt von Kindern und Jugendlichen. In einem Gemeinschaftsraum bietet sie Hausaufgabenhilfe an. Manche Kinder konzentrieren sich auf die Hausaufgaben, andere werfen immer wieder Fragen in die Richtung der 18-Jährigen. «Siiie, stimmt das Resultat?» – «Sie, ich komme hier nicht weiter.» Pastore beantwortet die Fragen geduldig, eine nach der anderen. Manche Antworten sind Gegenfragen. Die Kinder sollen selbst die Lösung finden. Die junge Frau ermutigt die Kinder, das Gelernte in eigene Worte zu fassen: «Erklär mir nochmal die Fotosynthese.» Wo nötig, wiederholt sie die Grundlagen oder ruft zu Ordnung auf, wenn es zu lärmig wird.
Engagement als Maturarbeit
Pastore will nicht Lehrerin werden. «Ich möchte einfach Menschen helfen. Auch beruflich», sagt sie über ihre Zukunftspläne. Die engagierte junge Frau hat im Rahmen ihrer Maturarbeit einen kostenlosen Vorbereitungskurs für die Aufnahmeprüfung ans Gymnasium entwickelt. Das Interesse daran war so gross, dass daraus ein regelmässiger Nachhilfekurs für alle Stufen wurde. Die Kinder und Jugendlichen wohnen alle in der Genossenschaftssiedlung auf dem Zwicky-Areal, einem Dübendorfer Quartier am Stadtrand von Zürich. Dort leben viele Familien mit niedrigem Einkommen. Nicht alle Eltern können ihren Kindern private Vorbereitungs- oder Nachhilfekurse finanzieren. Darum eignete sich das Quartier besonders für Pastores Projekt.
«Wie kann es fair sein, dass die Zukunft eines Kindes vom Wohlstand der Familie abhängt?»
Im Sommer 2024 hat Pastore den Vorbereitungskurs ins Leben gerufen. Die Idee für ihre Maturarbeit kam ihr an einem Abend bei einem Freiwilligeneinsatz, für Menschen in finanziellen Krisen. «Im Gespräch mit einer netten italienischen Dame erwähnte ich, dass ich am Gymnasium bin. Sie strahlte und gratulierte mir dazu», erzählt sie. Die Dame habe ihr von den geplatzten Träumen ihrer Nichte berichtet, die Meeresbiologin werden wollte, aber an der Gymiprüfung gescheitert sei. Ein privater Vorbereitungskurs, wie sie im Kanton Zürich verbreitet sind, hätte womöglich geholfen. Doch den konnte das Mädchen sich nicht leisten. «Das hat mich traurig und nachdenklich gemacht», erzählt Pastore.
Diese Begegnung brachte sie auf die Idee, eine Maturarbeit über Förderung durch Bildung zu schreiben. Pastore weiss, dass Bildung auch mit Privilegien zusammenhängt. «Wie viele andere Schülerinnen und Schüler am Gymnasium hatte ich die Chance, einen privaten Vorbereitungskurs zu besuchen», sagt sie. «Aber wie kann es fair sein, dass die Zukunft eines Kindes vom Wohlstand der Familie abhängt?», fragt sie im Vorwort ihrer Arbeit.
Berufslehre empfohlen
In ihrer Maturarbeit verweist Pastore auf Zahlen aus dem Kanton Zürich, die zeigen: Je höher das Einkommen der Familie, desto wahrscheinlicher ist der Übertritt ans Gymnasium. Auch aus eigener Erfahrung weiss sie, dass für die schulische Karriere nicht nur Talent und Leistung ausschlaggebend sind. Pastore wuchs zunächst in Portugal und in England auf. Erst im Alter von zwölf Jahren kam sie in die Schweiz. Ohne Kenntnisse der deutschen Sprache und ohne Kenntnisse des hiesigen Schulsystems. «Ich wusste nicht, dass man nur mit der Matur an die Uni kann», erzählt sie.
Nach einem Jahr in einer Integrationsschule kam sie in die Sekundarschule. Dort empfahl man ihr, eine Berufslehre zu machen. «Mein Deutsch war noch nicht so gut. Darum sagten sie, ich solle etwas Praktisches lernen», erzählt Pastore. Sie interessierte sich jedoch für den akademischen Weg, den schon ihre Eltern eingeschlagen hatten. «Ich wollte schon immer wissen, wie alles funktioniert. Darum mag ich auch die Naturwissenschaften», erklärt sie. Heute spricht Pastore fliessend Hochdeutsch mit einem sanften Schweizer Akzent. Man könnte meinen, dass sie jeden Moment in astreines Schweizerdeutsch wechselt.