Schimpfwörter im Klassenzimmer

Fluchen, aber richtig

Kraftausdrücke sind in der Schule verpönt. Trotzdem benutzen sie fast alle. Darf in der Schule geflucht werden und wenn ja: wie? Ein Blick auf Praxis, Potenzial und Grenzen.

Comic mit Fluchwörtern.
Oft sind Kraftausdrücke nicht angebracht. Weil sie aber durchaus menschlich sind, braucht es einen kreativen Umgang damit. Foto: iStock/Seamartini

Fluchen muss nicht sein. Die Sprache liefert genug Werkzeuge, um auf vulgäre Worte zu verzichten. Dennoch sind Begriffe wie Scheissdreck, Bitch oder Arschloch im Alltag verbreitet. Auch in Schulzimmern wird geflucht, gemotzt und beleidigt: leise, laut, direkt oder versteckt. Jugendliche haben oft ihre eigenen Beleidigungen und Fluchwörter. Doch in der Schule ist Fluchen unerwünscht. Bildungsinstitutionen betonen in ihren Verhaltensregeln, wie wichtig ein achtsamer und respektvoller Umgang miteinander für die Schulkultur ist. Ganz ohne Kraftausdrücke geht es dennoch nicht immer. Die Frage ist: Mit welcher Haltung soll in der Schule Beleidigungen und Schimpfwörtern begegnet werden? Und was genau ist eigentlich Fluchen?

Ein menschliches Phänomen

Fakt ist: Geflucht wird quer durch alle sozialen Schichten und Altersgruppen. Kraftausdrücke variieren durch Sprache und Kultur. Benutzt wird zum Fluchen, Verfluchen und Beleidigen überall das Gleiche: die grössten Tabus (siehe Text ganz unten). Neu ist das Phänomen überhaupt nicht. Im alten Ägypten meisselten Menschen Verwünschungen in Grabwände, und selbst in der Bibel wird ge- und verflucht. Es sind zwar andere Fluchwörter als heute, aber deswegen nicht weniger abwertend und derb. So nennt Paulus im Philipperbrief 3,8 alles Dreck, was ihm früher wichtig war. Damit will er den Wert seiner Beziehung zu Christus betonen. Das dafür verwendete griechische Wort «skybala» bedeutet so viel wie Kot, Müll oder Exkrement.

Beleidigt und geflucht wird auch in der Literatur. Goethe forderte: «Schlagt ihn tot, den Hund!» Mozart unterschrieb Briefe mit «Herzlichst, Ihr Süssmaier Scheissdreck.» In der Politik scheint oft nur authentisch, wer starke Emotionen zeigt und laut widerspricht. Kraftausdrücke sorgen dabei für mehr Gewicht, Empörung und mediale Aufmerksamkeit. Fluchen ist dabei kein einmaliger Ausrutscher, sondern Strategie: Wer hart spricht, will hart wirken.

Jugendliche Abgrenzung

Nicht jeder Fluch ist gleich. Nicht jedes Kraftwort ist verletzend. Ein «verdammt» aus Schmerz hat eine andere Bedeutung als ein «du Hure» zu einer Mitschülerin. Besonders in Schulen ist es wichtig, zu differenzieren. «Kraftausdrücke sind in der Jugendsprache ein Stilmittel, um zu intensivieren und zu polarisieren. Was schlecht ist, wird zu Mist oder Scheisse. Was gut ist, wird als geil oder fett bezeichnet», sagt Christa Dürscheid, emeritierte Professorin für deutsche Sprache an der Universität Zürich.

«Das ordinäre Fluchen endet, wo Sprache diskriminierend eingesetzt wird.»

Auch sei die Begrüssung «Na, du alte Sau» zwischen Kolleginnen und Kollegen oft keine Beleidigung, sondern ein Zeichen von Nähe und Akzeptanz, konkretisiert die Expertin für Jugendsprache. So sind bei Kraftausdrücken Kontext und Adressat massgebend: Wann, wie und mit welchem Ziel wird geflucht? Unter Jugendlichen sind Fäkalsprache und Kraftausdrücke nämlich auch als Jargon zu verstehen.

Zwischen Stil und Kreativität

Allgemein müssen Schimpfwörter und Beleidigungen nicht unbedingt ein Ausdruck von Banalität und Aggression sein. Sie können auch einen kreativen Umgang mit Sprache lehren. Das kann im Unterricht, von Englisch über Geschichte bis hin zu Biologie, aufgegriffen werden. William Shakespeare zum Beispiel begnügte sich nicht bloss damit, jemanden als dumm zu bezeichnen. In «Hamlet» schrieb er stattdessen von einem «überflüssigen Mangel an Witz». Im englischsprachigen Internet erfreuen sich solche «Shakespearean insults» grosser Beliebtheit und in Sachen spassige Beleidigungen kommen auch Deutschsprachige online nicht zu kurz. Es gibt zahlreiche historische Sammlungen für veraltete Schimpfwörter wie Grasteufel oder Furzklemmer. Oder man schlägt einfach ein Pflanzenlexikon auf. Gewächse wie die stinkende Nieswurz oder die stängellose Kratzdistel eröffnen neue Möglichkeiten, den eigenen Unmut kundzutun. Neue Wortkreationen helfen, das Fluchen nicht zu unterdrücken, sondern die Wut umzuleiten. Denn, wer fluchen kann, kann auch mit Sprache spielen und dabei lernen, wann welche Worte verletzen.

Kleinkinder lernen früh, dass ein «Scheisse!» Aufmerksamkeit bringt.

Kraftausdrücke als Stilmittel oder kreatives Ventil haben allerdings ihre Grenzen. «Das ordinäre Fluchen endet dort, wo Sprache rassistisch, sexistisch oder diskriminierend eingesetzt wird», betont Dürscheid. Begriffe wie Mongo oder Schlampe beleidigen und diskriminieren gezielt. Hier gilt es zu intervenieren. Wo Sprache zur persönlichen Diffamierung und zu verbalem Mobbing führt, gibt es keinen Interpretationsspielraum mehr. «Der Inhalt von bewusst diffamierender Sprache ist verletzend. Im Gegensatz dazu sind ordinäre Fluchwörter harmlos und oft sinnentleert», so Dürscheid.

Emotionsstau im Hirn

Das Fluchzentrum des Gehirns liegt im limbischen System – dort, wo Emotionen entstehen. Manchmal entlädt sich der Ärger als Worttirade, noch bevor der präfrontale Kortex als Zensor eingreifen kann. Der Emotionsstau im Hirn löst sich mit Kraftausdrücken. Bei Menschen mit Demenz bleiben Schimpfwörter oft als letzte sprachliche Fähigkeit erhalten; ein Indiz für ihre emotionale Verankerung. Auch Kleinkinder lernen früh, dass ein «Scheisse!» Aufmerksamkeit bringt. Schimpfwörter sind emotional aufgeladen, nicht zuletzt durch die elterliche Reaktion. Erwachsene erinnern sich erwiesenermassen besser an tabuisiertes Vokabular als an neutrale Alltagsbegriffe.

Bei einem wissenschaftlichen Test, durchgeführt vom Psychologen Donald Mac Kay von der University of California in Los Angeles, bekamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tabuisierte sowie neutrale Wörter vorgesetzt. Alle konnten sich den Fäkalbegriff Scheisse besser merken als etwa das neutrale Wort Stuhl. Abseits vom gebrochenen Tabu, hat das Fluchen auch eine positive Wirkung: Das Aussprechen von Schimpfwörtern kann kurzfristig Schmerzen lindern und Stress reduzieren. Es dient der emotionalen Regulation.

Fluchen ist auch in der Schule immer eine Frage des Kontexts. Je nach Lehrperson artikulieren sich Jugendliche differenzierter und setzen die Gürtellinie fürs Fluchen unterschiedlich hoch an. Ausserdem gilt es zwischen persönlichen Beleidigungen (faule Sau) und ziellosen Fluchtiraden (scheiss Drecksnote) zu unterscheiden. Wenn Letztere das Klassenzimmer erschüttert, empfiehlt Christa Dürscheid den Lehrerinnen und Lehrern, gelassen zu bleiben: «Oft sind solche verbalen Wutausbrüche ein Ventil für Frustrationen.» Da helfe es, zu relativieren und Verständnis zu zeigen.

«Ich furze in den Bart deines Vaters»

Von Arsch bis Zicke: Geflucht wird global, aber nicht überall gleich. Wer wann und wie flucht, sagt viel über Gesellschaften, Macht und Moral aus.

Fluchen ist ein globales und kulturell geprägtes Phänomen. Die Wissenschaft, die sich dem Phänomen widmet, wird Malediktologie genannt. Der bekannteste Fluchforscher, ein sogenannter Malediktologe, war der Deutsche Reinhold Aman. Er ist der Autor der weltweit einzigen Enzyklopädie des Fluchens und der Herausgeber von «Maledicta – The International Journal of Verbal Aggression». Diese Zeitschrift widmete sich bis 2005 Tabuwörtern, Beschimpfungen, Beleidigungen, Flüchen und verbaler Gewalt in verschiedenen Kulturen und Sprachen.

Fluchen in 200 Sprachen

Malediktologe Aman untersuchte akribisch rund 200 Sprachen und ihre Fluchwörter. Sein Fazit: In katholischen Ländern dominieren religiöse Flüche (Kruzifixkerl), in protestantischen die sexuellen (Wandervögler) und fäkalen (Scheisskerl). In anderen Regionen – etwa in Asien, Afrika und der Südsee – sind Beschimpfungen der Familie häufiger. «Ich furze in den Bart deines Vaters» ist laut Aman ein traditioneller Fluch aus Nordafrika. Durch die Globalisierung haben sich Fluchkulturen verschoben, aber auch gegenseitig bereichert.

Gegen Norm und Autorität

Unabhängig von der Sprache gilt: Geflucht wird, was tabu ist. Schimpfwörter markieren soziale Normen – und deren Bruch. Deshalb richten sich Kraftausdrücke laut Aman in fast allen Kulturen bevorzugt gegen Personen mit Autorität wie zum Beispiel Polizistinnen und Polizisten sowie Pfarr- oder Lehrpersonen. Reinhold Aman zählte allein im Deutschen über 40 gängige Beleidigungen für Lehrpersonen.

Die Psychologin Petra Cnyrim beschreibt in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» 2021 den Bruch mit alten Tabus. Sexuelles galt lange nicht als salonfähig und wurde «linguistisch ausgespart». Notdurft wurde zum Schimpfwort. Laut Cnyrim, Verfasserin des «Buches der Schimpfwörter und Flüche», wird in Italien anatomischer geflucht. Zum Beispiel mit «cazzo» als vulgärer Ausdruck für Penis. Im Französischen werden eher frauenverachtende Begriffe wie «pute» verwendet, im Englischen dominiert das allgegenwärtige «fuck». Eine aktuelle Studie aus England zeigt, dass britische Jugendliche das Wort «fuck» zunehmend weniger als starkes Tabuwort wahrnehmen, sondern als etabliertes Alltagswort verwenden. Klar ist: Schimpfwörter nutzen sich mit der Zeit ab. Sie verlieren ihre Wucht, werden zur leeren Geste. Denn wenn alles sagbar ist, verliert das Unsagbare seine Kraft. (cw)

Autor
Christa Wüthrich

Datum

13.11.2025

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