Jugendsport

«Erst in der Niederlage zeigt sich der Zusammenhalt eines Teams»

Die Kadetten Schaffhausen sind 14-fache Schweizer Meister im Handball. Der Erfolg basiert auch auf gutem Nachwuchs. Erfolg bedeutet für den Jugendtrainer und Nachwuchschef Marco Lüthi nicht nur ein Sieg, sondern auch eine gute Leistung.

Marco Lüthi wirft mit einer Hand einen Handball in die Luft.
Als Handballer weiss Marco Lüthi, worauf es im Teamsport ankommt. Als Jugendtrainer sieht er, warum das Zusammenspiel nicht immer einfach ist. Fotos: Gion Pfander

BILDUNG SCHWEIZ: Sie trainieren den Nachwuchs der Kadetten Schaffhausen und haben als Jugendlicher selbst lange Handball gespielt. Was macht ein gutes Team aus?

MARCO LÜTHI: Erfolg und Chemie. Das Ziel aller Teams ist es, erfolgreich zu sein. Dabei geht es aber nicht nur ums Gewinnen. Gute Teams erbringen gute Leistungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

Und was meinen Sie mit Chemie?

Das zeigt sich vor allem im Nachhinein. Wenn die Chemie stimmt, entstehen langjährige Freundschaften – auch nach den aktiven Jahren. Ich kenne Jungs, die nun als Erwachsene weiterhin gelegentlich zusammen spielen. Ich denke auch immer noch gerne an diese sozialen Aspekte während meiner aktiven Jahre zurück.

Worin besteht jetzt Ihre Rolle?

Als Trainer ist Führung wichtig. Ich setze dabei vor allem Leitplanken. Besonders bei jungen Menschen muss ich klar sagen, was nicht geht und unerwünschtes Verhalten sofort ansprechen. Ihnen fehlt die Erfahrung, wie ein Team funktioniert und wie man als gutes Team miteinander umgeht. Auf dem Pausenplatz sprechen sie ganz anders miteinander – besonders die Jungs.

Inwiefern?

Dort fehlt oft die wertschätzende Kommunikation. Die Jungs müssen häufig erst lernen, mit Kritik umzugehen – auch, wenn sie von Teamkollegen kommt. Meist reagieren sie abweisend und beschuldigen sich gegenseitig. In einem guten Team sollte das nicht geschehen, darum muss man da Grenzen setzen.

Jugend ist Rebellentum. Ist es sinnvoll, Spielerinnen und Spieler zu sanktionieren, die Probleme machen?

Strafen gibt es bei uns kaum. Wenn jemand nachlässig wird und häufiger fehlt, erwarte ich dafür eine Mehrleistung, zum Beispiel einen Einsatz als Helfer. Im Training selbst gibt es oft Liegestütz-Situationen. Solche «Strafen» erzeugen einen Wettkampfdruck und dienen auch der Selbstreflexion. Während zehn Liegestützen können die Jungs ihr Verhalten hinterfragen. Oder wenn in der Garderobe etwas kaputt geht, muss vielleicht das ganze Team beim Hauswart zum Putzen antraben. So etwas schweisst auch zusammen.

Zur Person

Marco Lüthi (39) stammt aus der Region Basel, wo er schon als Junior Handball spielte. Später wechselte er ins Traineramt und trainierte unter anderem die erste Mannschaft des RTV Basel. Gleichzeitig studierte er Infektionsbiologie an der Universität. Seit 2013 ist er vollamtlich Nachwuchsverantwortlicher der Kadetten Schaffhausen, die auch eine Akademie für angehende Handballprofis führen.

Eine Mannschaft will gut sein. Dafür braucht’s neben Teamgeist auch Ambition, oder?

Beides bedingt einander. Aber gerade im Teamsport besteht das Problem, dass die Spielzeit begrenzt ist. Pro Spielminute stehen sieben Leute auf dem Feld, wo sie glänzen können. Im eigentlichen Team sind aber 14 bis 16 Personen. Mehr als die Hälfte spielt nicht und nicht alle haben eine Rolle, die ihnen gefällt.

«Man muss allen gleich viel Aufmerksamkeit schenken und Wertschätzung zeigen.»

Wie verhindern Sie, dass da Frust aufkommt?

Als Trainer vermittle ich, wie wichtig der Teamaspekt und das Dazugehören sind. So entsteht eine Leistungsbereitschaft – selbst wenn einem gerade nicht die goalschiessende Rolle zugedacht ist. Auch neben dem Spielfeld gibt es wichtige Rollen. Ich zeige jeweils, wieso sie für das Gesamte, also auch den Erfolg, wichtig sind.

Was empfehlen Sie, um sowohl Ambition als auch Teamgeist gerecht zu werden?

Man muss allen im Team gleich viel Aufmerksamkeit schenken und Wertschätzung zeigen. Das geschieht unabhängig von der Anzahl geschossener Goals. Bei Jugendlichen kann man nicht immer von allen die gleiche Leistung erwarten. Sie sind nicht immer am gleichen Punkt im Leben und entwickeln sich sehr sprunghaft.

Woran erkennen Sie gute Teamspielerinnen und -spieler?

Gut sind jene, die das Maximum aus ihrer Rolle als Spielerin oder Spieler holen. Sie müssen nicht perfekt sein, aber sie müssen bereit sein, mehr ins Spiel zu geben, als sie für sich herausnehmen.

«Im Team brauchen alle eine gewisse Bescheidenheit.»

Wie zeigt sich das konkret?

Sie geben alles, egal ob sie zwei oder 50 Minuten auf dem Spielfeld stehen. Sie bereiten sich vor und sind voll dabei. Zur Vorbereitung zählen zum Beispiel auch eine bewusste Ernährung und genügend Schlaf. Natürlich sind jene Leistungen wichtig, die direkt zum Erfolg einer Mannschaft beitragen. Es braucht aber auch da eine gewisse Bescheidenheit. Niemand soll sich für wichtiger halten als die anderen.

Wie helfen Sie nach, wenn es Einzelnen an Teamgeist fehlt?

Ich kann gemeinsame Erlebnisse und Freiräume schaffen, welche die Teamentwicklung unterstützen. Da muss ich nicht immer direkt dabei sein – zum Beispiel, wenn in der Garderobe geblödelt wird. An Trainingswochenenden sammle ich auch mal Handys ein. So können die Jugendlichen die Langeweile zusammen überbrücken und gemeinsam etwas erleben.

Im Sport schweisst der Erfolg zusammen. Wie ist das mit Niederlagen?

Erfolg gibt ein gutes Gefühl, aber erst in der Niederlage zeigt sich der wahre Zusammenhalt eines Teams. Misserfolg ist eine Lebensschule. Er hilft Resilienz zu entwickeln. Man lernt dabei auch den Umgang mit Konflikten, wenn die Emotionen hochgehen. Im Idealfall ist ein Team zusammen resilienter als jeder und jede für sich.

Die Kadetten haben mehrere erfolgreiche Mannschaften. Was bedeutet dieser Erfolgsdruck für den Nachwuchs?

Bei der Jugend ist der Druck wegen des Tabellenrangs nicht so hoch wie bei der ersten Mannschaft. Aber es wird eine gewisse Leistung erwartet. Was möglich ist, hängt natürlich auch vom Gegner ab. Bei starken Gegnern will man sich beweisen, gegen schwächere will man sich keine Blösse geben. Druck besteht also insofern, als dass die Teams ihrer Liga und ihrem Gegner entsprechend eine gute Leistung bringen.

Hat sich die Arbeit mit Jugendlichen aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren verändert?

In den letzten Jahren hat sich vor allem das sogenannte Umfeldmanagement geändert. Da besteht immer mehr ein Optimierungszwang bei den Spielerinnen und Spielern: Die Trainingszeiten sollen ideal und die Jugendlichen immer gut erholt sein.

«Es braucht auch den Willen, Widerstände zu überwinden.»

Das ist doch erstrebenswert, nicht?

Ja, aber es braucht auch den Willen, Widerstände zu überwinden. Vor zehn Jahren war man halt mal müde, dann musste man sich zusammenreissen und weiterarbeiten. Früher akzeptierte man als Neuling in der ersten Mannschaft auch eher seine Rolle. Als junger Neuprofi sitzt man häufig auf der Bank und trägt sogar manchmal Taschen und das Wasser zum Teambus. Heute gibt es dafür weniger Verständnis. Wer in die Nati A kommt, entwickelt schnell eine Anspruchshaltung. Handball wird da leider dem Fussball mit seinen Ich-AGs ähnlicher.

Wie wirken Sie dieser Anspruchshaltung als Trainer entgegen?

Ich vermittle den Jugendlichen Aspekte, mit denen sie noch nicht so vertraut sind. Sie brauchen Resilienz, Bescheidenheit und auch den Sinn für harte Arbeit. Die Jugendlichen sollen lernen, durchzuhalten oder etwas durchzusetzen – auch wenn die Bedingungen nicht immer optimal sind. Wer mit seinen eigenen Fehlern oder mit jenen von anderen umgehen kann, ist belastbarer.

«Wer mit Fehlern umgehen kann, ist belastbarer.»

Gibt es Lektionen aus dem Teamsport, die auch allgemein für das private und berufliche Leben gelten?

Im Team lernt man Prioritäten zu setzen und klar zu kommunizieren. Als Teil einer Gruppe lernt man zudem auch, wie man selbst funktioniert. Das schafft ein Bewusstsein für die eigene Befindlichkeit und dafür, wie man auf andere wirkt.

Autor
Patricia Dickson

Datum

20.01.2025

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