Handlich, aber untauglich
Die Probleme waren ausgerechnet dort am grössten, wo die neue Infrastruktur eigentlich Verbesserungen bringen sollte: im Unterrichtsalltag. Ein Jahr nach der Einführung musste nachgebessert werden. Lehrpersonen dürfen wieder eigene Geräte verwenden und erhielten zusätzliche Schulungen für die Plattform.
Unterdessen ist etwas Ruhe in den Alltag eingekehrt. Widmer formuliert seine Einschätzung der aktuellen Situation pragmatisch: «Zum Arbeiten ist die Plattform jetzt für die Schülerinnen und Schüler nutzbar.» Insgesamt kostete das Projekt bisher rund 27 Millionen Franken – und sehr viele Nerven.
«Schweizer Schulen haben ihr digitales Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.»
Die nächste Phase
Als Selbstzweck wäre die Digitalisierung ein teurer Spass. Mit der Frage, wozu es überhaupt eine Digitalisierung der Bildung braucht, beschäftigt sich Dominik Petko, Professor für Didaktik und Bildungstechnologie an der Universität Zürich. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Schulentwicklung mit digitalen Medien. Er sagt: «Schweizer Schulen haben ihr digitales Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.» Damit bezieht er sich nicht nur auf die nötige Infrastruktur, sondern auf die didaktischen Möglichkeiten, die diese bieten.
Digitalisierung war lange Synonym für die Aufrüstung der IT-Infrastruktur und dem Erlernen von einfachen Computerkenntnissen. In einem nächsten Schritt verändert die Digitalisierung die Lernkultur. Es kommt zur sogenannten Digitalen Transformation, die nicht nur analoge Tätigkeiten imitiert, sondern diese weiterentwickelt. «Wenn digitale Technologien uns immer mehr Routineaufgaben abnehmen, dann müssen wir in der Schule mehr Nicht-Routinefähigkeiten vermitteln», sagt Petko. Insbesondere überfachliche und soziale Fähigkeiten, kritisches Denken und Kreativität werden künftig gefragt sein.
Digitalisierung kann die Schule weiterbringen, sie ist jedoch keine Patentlösung – schon gar nicht ein Allheilmittel. Petko hofft auf neue Impulse für die Didaktik, sieht aber auch Probleme, wo Digitalisierung falsch eingesetzt wird. Zum Beispiel sind Hausaufgaben mit digitalen Medien kontraproduktiv, wenn nur zusammengefasst oder abgeschrieben wird. Die Arbeit mit dem Internet birgt ausserdem grosses Ablenkungspotenzial.
«Am besten ist es, den Laptop gezielt auf- und gezielt wieder zuzuklappen.»
Die verführerische Kraft des Internets ist eine Herausforderung, egal wie alt man ist. Petko empfiehlt: «Am besten ist es, den Laptop gezielt auf- und gezielt wieder zuzuklappen. Man muss nicht ständig mit digitalen Medien arbeiten.» Wichtig sei, dass Schülerinnen und Schüler dabei mit einer kreativen Nutzung der Geräte vertiefte Lernerlebnisse sammeln können.
Vielfältiger lernen
Auch Petko hat Visionen für die Bildung. Doch für ihn dient technische Innovation in erster Linie alten pädagogischen Anliegen, die man nun – zum Beispiel mit interaktiver Technik – besser realisieren kann. «Schule muss aktivierender werden, um zukunftsfähige Kompetenzen zu vermitteln», sagt er. «Digitale Medien können die Türe des Klassenzimmers öffnen und reale Phänomene erlebbar machen, die sonst nicht so einfach zugänglich wären», sagt Petko. Er meint damit anschauliche Bilder und Videos, Daten und Experimentierumgebungen und nicht zuletzt auch den digitalen Austausch mit Menschen ausserhalb des Klassenzimmers.
Die Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben. Sie wird nie alle Probleme lösen, aber sie wird Schulen, Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern immer leichter fallen. Diese wachsen gemeinsam in eine digital geprägte Kultur hinein. So fällt es je länger je leichter, nützliche Lösungen von den wohlfeilen Verkaufsversprechen der Technologiebranche zu unterscheiden.