Chancen und Gefahren

Digitale Zusammenarbeit ist praktisch – wenn man sie kultiviert

Tools für digitale Zusammenarbeit prägen zunehmend den Schulalltag – und die Art, wie Lehrpersonen im Team arbeiten. Langsam etabliert sich eine neue Kultur, die von Erreichbarkeit geprägt ist. Das kann problematisch sein.

Ein Laptop, eine Tasse und ein Buch liegen auf einem Tisch. Vor alledem schweben die grafischen Darstellungen von menschlichen Oberkörpern inmitten von Linien, welche diese Darstellungen in Form eines Netzwerks verbinden..
Auch wer digital kommuniziert, muss nicht immer erreichbar sein. Foto: iStock/Igor Kutyev

Tools für die virtuelle Zusammenarbeit wie MS-Teams oder Escola sind an vielen Schulen im Einsatz. Oft in Ergänzung zu Mail, diversen Chat-Apps und Sharing-Plattformen wie zum Beispiel Sharepoint. Die Vernetzung soll Lehrerinnen und Lehrer bei ihrer Arbeit unterstützen. Wie haben diese Apps also die Zusammenarbeit im Lehrteam verändert?

Wer teilt, hat mehr zum Lehren

Im Schulalltag sind oft die sogenannten Picts am Puls des digitalen Wahnsinns. Sie unterstützen ihr Kollegium sowie die Schülerinnen und Schüler bei diversen technischen Problemen. Sie geben Tipps, erklären Computerprogramme oder helfen, wenn das Tablet spinnt. All diese Anliegen bescheren den Picts einen grossen Aufwand.

Doch obwohl sie viel Unterstützungsarbeit leisten müssen, sehen sie die Chancen im Wandel. «Grundsätzlich wird die Zusammenarbeit dank digitaler Tools einfacher», weiss Andreas Bänninger. Er begleitet seit fünf Jahren als Picts seine Kolleginnen und Kollegen der Schulen Bellach, Lommiswil und Selzach im Kanton Solothurn.

«Die Leute sind motiviert, mehr zu teilen und sich gegenseitig auszuhelfen.»

Bänninger betont die Vorteile einer gemeinsamen Datenablage und kürzerer Kommunikationswege. Richtig genutzt erleichtern diese die Umsetzung gemeinsamer Projekte. Die Möglichkeiten werden auch genutzt. Dokumente, die bisher jeder und jede selbst erarbeiten und aktualisieren musste, werden grosszügiger geteilt und häufiger genutzt, wie Connie Stalder feststellt. Sie macht den pädagogischen ICT-Support, kurz Picts, im zürcherischen Egg. Als Picts sieht sie, wie sich die Zusammenarbeit im Lehrteam weiterentwickelt hat: «Mich freut, wie motiviert die Leute sind, mehr zu teilen und sich gegenseitig auszuhelfen.»

Mail und Chat sind nicht dasselbe

Vieles hängt jedoch immer noch vom Interesse und den technischen Kenntnissen der einzelnen Lehrpersonen ab. Der Wandel, den die Technologie verspricht, gestaltet sich entsprechend langsam. Stalder begleitet die Veränderungen an ihrer Schule seit 2019. «Es braucht viel Zeit und viele Inputs, bis sich jeweils ein Tool etabliert», sagt sie. Sie beobachtet aber auch Routinen, die sich bewährt und Einzug in die Teamkultur gefunden haben. Zum Beispiel im Umgang mit Chats und Mail: «Chats werden eher für kurzfristige Anliegen verwendet und längerfristige Anfragen kommen eher per Mail.»

Es habe sich unterdessen bei den Lehrerinnen und Lehrern auch ein stärkeres Bewusstsein für den Datenschutz der verschiedenen Kanäle entwickelt. Bänninger und Stalder berichten über ähnliche Erfahrungen. Sie selbst sind mit den neuen Anwendungen vertraut und können diese gezielt einsetzen. Gleichzeitig sind weniger versierte Lehrkräfte von den vielen Möglichkeiten und der Technik selbst überfordert. «Die Kommunikation über verschiedene Kanäle wie Mail, Teamchats und Messenger-Dienste ist für viele eine Belastung», berichtet Stalder.

Vielfalt kann überfordern

Die Kehrseite der grossen Auswahl sind der Verlust der Überschaubarkeit und der Druck, ständig erreichbar sein zu müssen. Gleichzeitig gehen wichtige Infos verloren, wenn sie nicht über eine regelmässig benutzte App eintreffen. Von seinen Kolleginnen und Kollegen hört Bänninger oft, dass es schwierig sei, den richtigen Kanal zu wählen. «Die Vielfalt wird unübersichtlich», sagt er. «Mancherorts entstand in den letzten Jahren ein regelrechter Wildwuchs.» Lehrteams müssen da gemeinsam eine neue Kultur schaffen und ein gemeinsames Verständnis dafür, wann man wo erreichbar ist.

In seinem Schulkreis habe man deswegen MS-Teams als zentrales Tool für wichtige Informationen festgelegt. Das muss sich aber noch einspielen. Vieles geschehe trotzdem noch via E-Mail, sagt Bänninger.

«Im Team sollte man gemeinsam die Erreichbarkeit regeln.»

Nicht alles, was möglich ist, muss wirklich eingeführt werden. Besonders die Erreichbarkeit kann ein belastender Faktor sein. «Im Team sollte man gemeinsam die Erreichbarkeit regeln», rät Bänninger. Mails, die man noch am späten Abend schreibt, könne man auch auf den nächsten Morgen terminieren, rät er. So komme niemand unter Druck, reagieren zu müssen. Umgekehrt empfiehlt er, im Profilstatus An- und Abwesenheit zu kommunizieren.

Analoge Schule digital abbilden

Die Herausforderungen für die Schulen und somit auch die Picts sind nicht nur technischer Natur. Neben Geduld braucht es nicht zuletzt gute Strukturen in Chatgruppen und in der Datenablage. «Oft merkt man bei der Umstellung auf digitale Strukturen, dass die analogen Strukturen bisher nicht klar waren», sagt Marcel Jent, der an der pädagogischen Hochschule St. Gallen lehrt und digitale Transformationsprojekte begleitet.

Jent empfiehlt, die digitalen Strukturen der Kanäle und Ablagen als Abbild der analogen Schulstrukturen zu schaffen. Da könne es zum Beispiel digitale Räume wie ein Lehrerzimmer, einen Pausenplatz oder ein Sitzungszimmer geben. «Mit Analogien ist die Struktur leichter nachvollziehbar», ist Jent überzeugt. Dafür müsse auch berücksichtigt werden, wo im Alltag die Schnittstellen sind. «Teams, die analog zusammenarbeiten, brauchen eine Struktur, die auch digital funktioniert», sagt er. Darum müsse am Anfang geklärt werden, welche Teams denn überhaupt zusammenarbeiten und Zugriff auf die gleichen Strukturen brauchen.

«Es braucht eine gute Balance zwischen Teamzeit und Fokuszeit.»

Gärtchendenken ist passé

Im digital vernetzten Arbeiten sieht Jent einen grossen Vorteil für die Lehrerinnen und Lehrer. «Das Vernetzen und Dokumentieren kollaborativer Projekte ist einfacher geworden», sagt er und mahnt gleichzeitig: «Es braucht eine gute Balance zwischen Teamzeit und Fokuszeit, wo jede und jeder für sich arbeiten kann.»

Technik ist nicht zuletzt eine Frage der Gewohnheit – ebenso wie kollaborative, asynchrone Arbeitsformen, die zeit- und ortsunabhängig stattfinden. «Vor allem die asynchrone Zusammenarbeit bereitet vielen Lehrpersonen Mühe», beobachtet Jent. Er hofft, dass Schulen und Lehrpersonen bald noch stärker den Austausch von Ideen und Materialien pflegen. Dabei gehe es nicht um Perfektion. Er empfiehlt das Paretoprinzip: «Man kann auch ein Dokument weitergeben, das nur zu 80 Prozent perfekt ist.»

Zusammenarbeit und Austausch rütteln jedoch auch an alten Strukturen, die an Schulen über die Jahre entstanden sind. «Das Gärtchendenken kann noch mehr aufgehoben werden», sagt Jent. «Mit mehr vernetztem Denken kann man mehr teilen.» Er verweist als Beispiel auf Plattformen für Lernvideos, die auch schulübergreifend von Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern genutzt werden.

Zwang funktioniert nicht

Erzwingen kann man den Wandel, neue Formen der Zusammenarbeit und damit das Nutzen des versprochenen Potenzials nicht. Vieles geschieht durch Ausprobieren und Testen. Tools müsse man testen – und auch wieder deaktivieren können, wenn sie sich nicht bewähren. «Schulleitungen können dabei unterstützen, ohne etwas vorzuschreiben», sagt Andreas Bänninger. Auch Connie Stalder hält nichts von Zwang.

«Als Picts können wir den Wandel ankurbeln. Erzwingen kann man nichts», weiss sie. «Zusammenarbeit hängt auch stark von der Schulhauskultur ab», sagt sie. Oft ergebe sie sich auch aus der Notwendigkeit – wenn man etwas zum Beispiel aus reiner Zeitnot eben nicht allein schafft.

Autor
Patricia Dickson

Datum

11.11.2024

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