Die Zeiten haben sich geändert. Immer weniger Zeitungen liegen auf dem Familientisch herum. Ist es ein Problem für das Herangewöhnen von Kindern an die Medien?
Ich bin kein Kulturpessimist: Jede Generation findet ihre eigenen Wege zur Aufklärung und zum erkenntnisorientierten Dialog.
Die Medien haben sich in den vergangenen Jahren radikal gewandelt. Wie beurteilen Sie die Ist-Situation?
Die gedruckte Zeitung war ein kuratiertes Ganzes, eine Kumulierung kleiner Publika: Die einen interessieren sich für den Wirtschaftsteil, die anderen für Buchrezensionen. Die Redaktionen dachten vom Angebot her, mit Seitenblick auf die Nachfrage. Heute beherrschen Klicks und Quoten – also die Nachfrage – weite Teile der Medienwelt.
«Jede Generation findet ihre eigenen Wege, um zur Aufklärung zu gelangen.»
Die meisten Zeitungen wollen online stets das grösstmögliche Publikum erreichen, nicht eine Vielzahl kleiner Publika. Möglichst wenige Artikel sollen von möglichst vielen Menschen gelesen werden. Also je reisserischer, desto besser. Das Problem an diesem «Geschäftsmodell»: Wir sind im On-Demand-Zeitalter. Jede und jeder ruft gemäss eigenen Präferenzen das ab, was sie oder ihn besonders interessiert.
Was sollen die Medienhäuser tun?
Sie sollten zu einem Journalismus der Kumulierung kleiner Publika zurückkehren, statt das ganz grosse Publikum mit Boulevard zu versorgen.
«Keine einzige Aufgabe ist ausschliesslich Sache der Schulen.»
Welche Rolle wird der Schule zuteil, wenn es um die Heranführung an die Medien geht?
Wir leben in der Mediengesellschaft. Deshalb ist es wesentlich, dass Kinder und Jugendliche die Medien beherrschen lernen, statt von ihnen beherrscht zu werden. Aber: Keine Aufgabe ist ausschliessliche Sache der Schulen. Die Vorstellung, Lehrpersonen müssten sämtliche gesellschaftlichen Herausforderungen im Alleingang meistern, ist absurd. Schulen, Eltern, Politik und Medien müssen zusammenwirken, sonst droht eine strukturelle Überforderung.
Studien kommen zum Schluss, dass 98 Prozent der 12- bis 19-Jährigen auf den sozialen Medien anzutreffen sind. Machen traditionelle Medien genug, um sie dort abzuholen?
Auf sozialen Medien haben einzelne journalistische Angebote beträchtlichen Erfolg bei jungen Menschen. Die Angebote der Tagesschau etwa werden intensiv genutzt. Das ist wichtig, damit die junge Generation lernt, zwischen journalistischen und nichtjournalistischen Beiträgen zu unterscheiden. Journalismus, das ist Informationen suchen, prüfen, überprüfen, analysieren, gewichten, darstellen, erklären, eventuell kommentieren und bei Bedarf aktualisieren oder korrigieren. Darin liegt auch die Gatekeeper-Funktion des Journalismus. Auf sozialen Medien dagegen wird im Wesentlichen bloss die fakultative Funktion erfüllt: das Kommentieren, oft inkompetent.
Sind Jugendliche heute noch an Nachrichten interessiert?
Die Neugier junger Menschen bleibt. Das ist eine anthropologische Konstante. Und in der Breite ist der Nachwuchs besser ausgebildet denn je. Aber manche Medien bedienen seine Neugierde weniger kompetent.
«Schulen sollen den Willen vermitteln, die Fakten zu kennen.»
Wie kam es zu diesem Verlust an Kompetenz?
Über Jahrhunderte finanzierten sich Zeitungen weitgehend über Kleinanzeigen. Sie waren das finanzielle Rückgrat so mancher Regional- und Lokalzeitung. Kleinanzeigen und Werbung sind abgewandert zu Onlinemärkten, Suchmaschinen und sozialen Medien. Sie erreichen dort ihr Zielpublikum viel zielsicherer. Mit anderen Worten: Der Journalismus muss sich nunmehr weitgehend selbst finanzieren. Er muss substanzieller werden, denn auf Dauer lässt sich nur Substanz verkaufen. Weil aber die Werbeeinnahmen eingebrochen sind, bauen viele Medienhäuser die Redaktionen ab. Der Verlust an Fachkompetenz ist enorm. Und nicht wenige Schrumpfredaktionen versuchen diesen Substanzverlust zu kaschieren, indem sie reisserischer und plakativer werden. Das erschwert es jungen Leuten, das Differenzieren und Nuancieren zu lernen.