Fokus Lehre

Berufsausbildung als Nebenjob

Derzeit können Berufsleute nach einem 40-stündigen Kurs selbst Lernende ausbilden. In der Fachwelt wird das kritisch gesehen. Ein Problem sei der mangelnde Stellenwert, welcher der Ausbildung beigemessen werde.

Junge Berufsleute
Wer junge Menschen ausbildet, muss mehr als fachliche Expertise mitbringen. Fotos: iStock/Nikola Stojadinovic/ZVG

Philipp Bühler ist Hufschmied. In seinem Kleinstbetrieb in Abtwil (AG) bildet er seit vielen Jahren regelmässig junge Berufslernende aus. Die Ausbildung erfolgt bei ihm «parallel zur täglichen Arbeit». Bühler arbeitet mit seinen Lernenden als Team «am Pferd beim Kunden». Nach und nach übernehme der Lernende dabei erweiterte Aufgaben im Arbeitsprozess bis hin zum selbstständigen Ausführen. «Bei den Anfahrten zu den nächsten Kunden bleibt immer auch Zeit für eine Nachbesprechung», erzählt Bühler. «Die Lehrlinge essen bei uns am Mittagstisch, so lernt man sich sehr gut kennen und vermittelt auf natürliche Weise seine eigenen Werte.»

Ganz anders läuft die Lernendenausbildung bei der Preisig AG in Zürich. Der mittelgrosse Betrieb mit über 200 Mitarbeitenden bietet Dienstleistungen in den Bereichen Gebäudetechnik und Gebäudehüllen und hat in jeder Abteilung mindestens einen Berufsbildner beziehungsweise eine Berufsbildnerin. Diese sind für die rund 26 Lernenden zuständig. «Zwischen diesen Berufsbildnern findet bei uns ein regelmässiger Austausch statt – auch gemeinsam mit der Geschäftsleitung.» Das stärke die Qualität der Ausbildung und sorge für eine gute Koordination und Weiterentwicklung der Berufsbildner, sagt Thomas Preisig, Vorsitzender der Geschäftsleitung.

Grosser Betrieb – gute Ausbildung?

Zwei Unternehmen, zwei unterschiedliche Ausbildungsansätze: hier der Kleinstbetrieb, dort der mittelgrosse Betrieb. Fällt es den Grossen vielleicht einfacher, Lernende auszubilden, weil sie über mehr Ressourcen verfügen? «Ich würde nicht grundsätzlich sagen, dass grössere Betriebe Lernende besser ausbilden können. Auch in kleinen Betrieben ist eine qualitativ hochwertige Ausbildung möglich», sagt Preisig dazu. «Oft ist dort die Inhaberin oder der Geschäftsführer selbst direkt in die Ausbildung involviert – das schafft Nähe und kann sehr förderlich sein.» Aber natürlich gebe es auch bei grossen Betrieben gewisse Vorteile.

«Wer Lernende ausbildet, sollte einen ähnlichen Stellenwert wie ein Trainer in der höchsten Liga haben.»

Roberta Besozzi arbeitet an der pädagogischen Hochschule Freiburg und hat für ein paar Jahre an der eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) die Arbeit von Berufsbildnerinnen und -bildnern in Ausbildungsbetrieben erforscht. Auch für sie ist die Grösse eines Ausbildungsbetriebs nicht unbedingt das entscheidende Qualitätsmerkmal bei der betrieblichen Ausbildung von Lernenden: «Ein besser strukturiertes Unternehmen sollte sicherlich über mehr Ressourcen verfügen, welche die Ausbildung von Lernenden erleichtern können – zum Beispiel durch engagiertes Personal, finanzielle Mittel und organisatorische Kapazitäten», sagt Besozzi. Aber selbst grössere Ausbildungsbetriebe haben oft nicht die Zeit und die Mittel, um die Ausbildung zu finanzieren. Das Spannungsverhältnis zwischen Produktion und Ausbildung sei ein wiederkehrendes Thema. Das Problem dabei: «Die Rolle des Ausbildenden und die Bedeutung der Lehrlingsausbildung werden als strategische Priorität immer noch zu wenig geschätzt und anerkannt», so Besozzi.

Lesen Sie hier den Kommentar «Wer ausbildet, braucht eine solide Ausbildung» von Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) zum Thema.

Für Preisig ist zentral, dass die Funktion des Berufsbildners beziehungsweise der Berufsbildnerin im Betrieb «klar anerkannt» und «nicht einfach an eine beliebige Person delegiert» werden sollte. «Lernende sind unsere zukünftigen Fachkräfte. Wer diese ausbildet, sollte im Betrieb einen ähnlichen Stellenwert wie ein Trainer in der höchsten Fussballliga haben – jemand, der gezielt Talente fördert, motiviert und langfristig den Erfolg des Teams sichert.»

In der Schweiz liegt die Ausbildung der Berufsbildnerinnen und Berufsbildner bei verschiedenen Trägerschaften, etwa bei Branchenverbänden wie Gastrosuisse. Bei öffentlichen Anbietern sind es Berufsfachschulen, manchmal übernehmen diesen Part auch private Anbieter wie zum Beispiel «berufsbildner.ch». Vera Steinmann leitet dort den Bereich Bildung. Sie ist ebenso der Meinung, dass die Rolle der Ausbildenden im Betrieb immer noch zu wenig Anerkennung und Aufmerksamkeit erfahre. «Gute Berufsbildung ist Teamarbeit: Dazu gehören eine gemeinsame unternehmensinterne Haltung zur Ausbildung, der Rückhalt durch Vorgesetzte sowie Arbeitskolleginnen und -kollegen, die bereit sind, Lernenden ihr Wissen weiterzugeben und sie mitzubegleiten», so Steinmann.

Ausbildung dauert 40 Stunden

Wer heute in der Schweiz Lernende ausbilden will, der braucht – nebst den fachlichen Qualifikationen – einen schweizweit anerkannten 40-stündigen Kurs. In diesem werden die berufspädagogischen Kompetenzen vermittelt. Zu wenig, sagen viele Expertinnen und Experten – aber auch Berufsbildnerinnen und Berufsbildner. Besozzi stellt fest, dass die derzeitigen Schulungen der Komplexität der Rolle nicht gerecht würden. Sie plädiert für eine Erweiterung der Inhalte – insbesondere durch die Integration von Modulen, die sich mit den sozialpsychologischen Aspekten der Beziehung zu Auszubildenden befassen. Dazu zählt sie Themen wie Adoleszenz, Motivation und persönliche Schwierigkeiten.

Auch für Vera Steinmann gibt es Luft nach oben. «Die gesetzlich vorgeschriebenen 40 Lektionen vermitteln das Grundhandwerk, bieten aber kaum Raum für vertiefte pädagogisch-didaktische Fragen.» Laut Steinmann bringen viele Kursteilnehmende zwar fachliches Know-how mit, hätten aber darüber hinaus noch wenig Erfahrung darin, wie man junge Menschen begleitet, sie fördert und fordert – aber dabei nicht überfordert. Die gesetzlich vorgesehenen fünf Kurstage würden nur begrenzten Raum bieten, um die praktischen Herausforderungen von Berufsbildenden eingehend zu behandeln. «Berufsbildner.ch» koppelt darum den Grundkurs an vier über zwei Jahre verteilte Fokus-Webinare. Eines davon trägt den Titel: «Generationen verstehen».

«Berufsbildende sollten am Puls der Zeit bleiben.»

Ein Thema, das auch für den Unternehmer Thomas Preisig zentral ist: «Eine Berufsbildnerin beziehungsweise ein Berufsbildner sollte am Puls der Zeit bleiben, um Jugendliche verstehen und begleiten zu können», sagt er und ergänzt: «Wer selbst Kinder im Jugendalter hat, bringt oft ein natürliches Gespür für diese Lebensphase mit.» Wer selbst keine Kinder habe, müsse sich in diesem Bereich gezielt weiterbilden.

Bilden ist ein Generationenthema

Romain Rosset ist Präsident des Netzwerks Kleinstberufe. Dieser setzt sich für die Anliegen von Kleinstberufen ein – wie zum Beispiel für Hufschmiede wie Philipp Bühler. Früher war Rosset lange Bereichsleiter beim schweizerischen Schreinermeisterverband. Schon vor Jahren hat er dort für angehende Berufsbildnerinnen und Berufsbildner die Ausbildungszeit von 40 auf 100 Stunden erhöht, damit gewisse Themen vertiefter bearbeitet werden können.

Angesprochen auf die wichtigsten Kompetenzen, die angehende Berufsbildnerinnen und Berufsbildner erwerben sollten, kommt auch das Thema Generationen aufs Tapet. Zur Illustration erzählt er von einem Gespräch mit einem über 50-jährigen Berufsbildner. Dieser habe sich genervt, als seine Lernende beim Erteilen eines Auftrags gefragt habe, warum sie das eigentlich machen müsse. Früher seien solche Fragen nicht gestellt worden. Man habe einfach seine Arbeit gemacht.

Autor
Marcel Hegetschweiler

Datum

09.10.2025

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