Teamteaching

40 Kinder, zwei Lehrerinnen und trotzdem alle zufrieden

Was tun, wenn sich für eine Klasse keine Lehrperson finden lässt? Die Schule St. Stephan nutzte diese Notsituation für eine Änderung: Sie führte die vierte, fünfte und sechste Klasse zu einer einzigen Grossklasse mit 40 Kindern zusammen.

Vier Becher, die jeweils einen anderen Inhalt haben. In einem stehen viele Farbstifte, in einem weiteren viele Scheren, in einem anderen viele Bleistifte und im letzten viele Markierstifte.
In St. Stephan werden drei Klassen unterschiedlicher Stufen gleichzeitig unterrichtet. Die Rückmeldungen dazu sind positiv – trotz 40 Kinder gleichzeitig im Unterricht. Foto: Unsplash/Laura Rivera

Es ist ein grauer Montagmorgen in St. Stephan (BE) – eine kleine Gemeinde zwischen Zweisimmen und Lenk. Im ersten Stock der Schule St. Stephan versammeln sich 40 Kinder und ihre zwei Klassenlehrerinnen Leonie Aschwanden und Martina Kammacher im Kreis. Das eine oder andere Kind räkelt sich ein wenig, aber alle verhalten sich ruhig und richten die Aufmerksamkeit auf die Lehrerinnen. Aschwanden erklärt die Aufgaben des Morgens, darunter Sachrechnen in Mathematik und Figuren ausschneiden in Bildnerischem Gestalten.

Es gibt für die Kinder viele Aufgaben zu erledigen. Sie werden damit aber nicht alleine gelassen. «Wenn ihr nicht genau wisst, wie ihr diese angehen sollt, so kommt bei uns vorbei», sagt Kammacher. «Wir diskutieren dann das Zeitmanagement mit euch.» Nun machen sich die Kinder an ihre Aufgaben. Ihre Arbeitsplätze sind auf zwei nebeneinander liegende Zimmer verteilt. Dort stehen Zweier- und Vierertische, die teilweise mit kleinen Trennwänden optisch voneinander abgeschirmt sind.

Vom Lehrpersonenmangel zur Idee

40 Kinder, zwei bis drei Lehrpersonen und zwei Zimmer: Das war nicht immer so. Vor zwei Jahren schrieb der Schulleiter von St. Stephan, Tobias König, eine Stelle für eine Klassenlehrperson der sechsten Klasse aus. Er hatte schon immer Mühe, offene Stellen zu besetzen, doch dieses Mal schien es unmöglich. In dieser aussichtslosen Lage entschied er sich, einen neuen Weg einzuschlagen.

Das neue Schulmodell bietet beste Voraussetzungen für Quereinsteigende.

Eine Lösung fand König zusammen mit den Lehrerinnen, die bereits damals eine Mehrjahrgangsklasse unterrichteten. Als Basis diente ihnen das bereits eingeführte Churermodell, das unter anderem das Lernen auf unterschiedlichen Niveaus innerhalb einer Klasse ermöglicht. Ihr darauf aufbauendes Modell kombinierte das Unterrichten als Lehrpersonenteam mit dem Konzept einer Grossklasse.

Danach konnte König die unbesetzte Lehrpersonenstelle nochmals ausschreiben. Doch dieses Mal suchte er jemanden, die oder der den Unterricht mit zwei Klassenlehrerinnen zusammen bestreiten würde. Das waren beste Voraussetzungen für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die im Schulalltag Fuss fassen wollten. Der Schulleiter musste nicht lange suchen: Eine ausgebildete Sportlehrerin der Sekundarstufe 2 wagte unter diesen Voraussetzungen den Schritt in die Primarstufe.

Gute Noten für Teamteaching

Wenn wie in St. Stephan mindestens zwei Lehrpersonen den Unterricht zusammen vorbereiten und ihn gemeinsam durchführen, spricht man von Teamteaching. Das sei sehr attraktiv, erklärt der Schulleiter: «Die Teams können über längere Zeit zusammenarbeiten, sich gegenseitig unterstützen, voneinander profitieren und sich so im eigenen Unterrichtsverständnis weiterbringen.»

Auch die Lehrerinnen schätzen das: «Geteilte Verantwortung – weniger Druck», bringt es Aschwanden auf den Punkt. Ihre Kollegin Kammacher ergänzt, dass es sehr hilfreich sei, Rücksprache mit der anderen Lehrperson nehmen zu können. Weil immer mindestens zwei Lehrpersonen in der Klasse anwesend sind, können sich die Kinder auch jeweils an jene wenden, die sie bevorzugen. Dies kann fachlich begründet sein. Manchmal gehen die Kinder aber auch schlicht zu der Person, zu der sie den besseren Draht haben.

Insgesamt bringe das neue Schulmodell – trotz der grossen Kinderschar – eine entspannte und gute Atmosphäre ins Schulzimmer, sagt König. Das sorge einerseits für ein befriedigendes und attraktives Arbeitsumfeld für Lehrpersonen und biete andererseits ein konstruktives Lernmilieu für die Kinder.

Die Kinder schätzen die grosse Klasse, das Zusammensein und die Gemeinschaft.

Mit wachen Augen im Schulzimmer anwesend zu sein und die Schülerinnen und Schüler gezielt zu beobachten, erachtet Kammacher als sehr wichtig, damit kein Kind in der grossen Masse untergehe. Als grösste Herausforderung erweist sich die Infrastruktur: Es sei manchmal nicht einfach, über zwei Schulzimmer hinweg zu unterrichten.

Die Kinder mögen die Neuerungen

Nach einem halben Jahr im neuen Schulmodell befragte König auch die Kinder und ihre Eltern dazu. Letztere zeigten sich zufrieden mit der Schule im Allgemeinen. Zum neuen Schulmodell gab es von ihnen keine negativen Rückmeldungen.

Bei den Kindern zeigte die Umfrage unter anderem, dass viele die wechselnden Plätze mögen. Diese werden ihnen wöchentlich neu von den Lehrpersonen zugewiesen: «Mir gefällt, dass man jede Woche jemanden anders nebendran hat», schrieb ein Kind. Weiter halten einige Schülerinnen und Schüler fest, dass sie die grosse Kinderschar, das Zusammensein und die Gemeinschaft schätzen: «Am besten finde ich, dass wir so eine grosse Klasse sind», antwortete ein Mädchen.

Zudem betonen die Kinder, dass sie gleichzeitig zwei Lehrpersonen und auch die älteren Schülerinnen und Schüler als Ansprechpersonen hätten: «Ich finde es gut, dass man nicht so lange anstehen muss», bringt es ein Schüler auf den Punkt. Die Kinder notieren wenig Negatives. Ein paar stören sich am vielen Herumlaufen der anderen Kinder. Man könne sich so nicht richtig konzentrieren.

Ein Modell für die ganze Schule

Rund 120 Kinder besuchen in der Schule St. Stephan den Kindergarten oder die erste bis sechste Klasse. Da weniger als sechs Primarklassen vom Kanton gesprochen werden und sich die Kinderzahl von Jahrgang zu Jahrgang stark ändert, kann der Schulleiter die Kinder nie nur nach Jahrgangsklassen einteilen. Bis jetzt sassen rund 20 Kinder in einer jahrgangsgemischten Klasse. Mit dem neuen Modell hat er nun mehr Möglichkeiten – und die will er auch nutzen.

Aufgrund der Erfahrungen mit der Grossklasse plant König, das neue Modell zusammen mit den anderen Lehrpersonen auszuweiten. Im Januar informierte er die Eltern, dass die sechs Klassen ab dem kommenden Schuljahr in drei Gruppen à 30 Kinder unterrichtet würden. Eine Gruppe setzt sich aus der 1. und 2. Klasse zusammen, eine aus der 3. und 4. und die letzte aus der 5. und 6. Klasse.

Die letzte Gruppe ist bereits Teil einer Grossklasse. Für die anderen beiden Gruppen werde noch herausgearbeitet, ob sie jeweils in zwei kleineren Klassen, als Grossklasse oder in einer Mischform unterrichtet werden. Wegen der beschränkten Lektionenzahl werden aber sicher in allen Stufen mindestens vier bis fünf Wochenlektionen in grösseren Klassen stattfinden. «Ich spüre viel Drive und Euphorie für nächstes Jahr», freut sich der Schulleiter.

Weiter im Netz

Mehr zum Churer Modell, das als Ausgangslage für das Teamteaching-Modell in St. Stephan diente: churermodell.ch

Autor
Claudia Baumberger

Datum

09.04.2024

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